Die Insel der roten Mangroven
an, sondern folgte allenfalls Victors Werben, wenn der nicht zu müde war.
Auch Deirdres sprühend gute Laune und ihr blühendes Aussehen hätte der junge Arzt nie mit Jefe in Verbindung gebracht. Nach den ersten Monaten in Cap-Français war Deirdre oftmissgelaunt und gelangweilt gewesen, jetzt lebte sie sichtlich auf. Victor freute sich darüber, ohne eine Bemerkung dazu zu machen. Er kommentierte auch nicht, dass Deirdre nicht mehr so vehement darauf bestand, mindestens zwei Wochenenden im Monat auf Nouveau Brissac zu verbringen. Schließlich war er selbst ganz froh, öfter zu Hause bleiben zu können und nicht mit hysterischen Plantagenbesitzern konfrontiert zu werden, die Anschläge fürchteten. Deirdres Haltung erklärte er sich damit, dass ihre Reitbegleitung ihr jetzt wieder Ausritte in und um Cap-Français erlaubte. Und vielleicht fielen ihr ja auch die nie enden wollenden Sticheleien seiner Mutter auf die Nerven. Deirdre war noch immer nicht schwanger, und Louise Dufresne nahm das persönlich …
Lediglich die Frage, warum sich die Klatschbasen der Gemeinde nicht an Deirdres Ausritten mit Jefe störten, sprach Victor ein paarmal an. In Jamaika mochte es ja gang und gäbe sein, dass junge Frauen in Begleitung schwarzer Boys ausritten – sofern sie das überhaupt taten, nur wenige Frauen in den Kolonien bestiegen ihre Pferde zum Vergnügen. Und auch in England folgten eifrigen Jagdreiterinnen oft überforderte Pferdeknechte als »Aufsichtspersonen«, ohne dass jemand etwas argwöhnte. Aber hier auf Saint-Domingue hätte Victor erwartet, dass die Kirchendamen die Sache zumindest ansprachen und sich zum Beispiel vergewisserten, dass Victor davon wusste. Dass nichts dergleichen geschah, wunderte den Arzt, während Deirdre es leicht hätte erklären können. Schließlich passte sie höllisch auf, dass sie niemals mit ihrem Begleiter gesehen wurde. Eine argwöhnische Betrachterin hätte schließlich schon an ihren strahlenden, erhitzten Gesichtern sehen können, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
In der letzten Zeit hatte auch Amali begonnen, ihrer Herrin seltsame Blicke zuzuwerfen, wenn sie mit dem attraktiven Schwarzen ausritt. Wie Deirdre erwartet hatte, war es sehr vieleinfacher, die Affäre vor ihrem Mann geheim zu halten als vor der Dienerschaft.
Ursprünglich hatte Deirdre sich auch Sorgen wegen Bonnie gemacht. Wenn es stimmte, dass sie in den großen Schwarzen verliebt war – und als Deirdre einmal einem seiner Besuche bei ihr beigewohnt hatte, war auch bei ihr jeder Zweifel daran geschwunden –, musste sie eigentlich ein Gefühl dafür entwickeln, dass ihr der Mann entglitt. Aber Bonnie bemerkte nichts. Sie schien einfach nur selig, wenn sie mit dem großen Schwarzen in einem Raum sein durfte, und Deirdre betrachtete sie mit unverhohlener Bewunderung. Eine gepflegte Dame der Gesellschaft hatte sie vorher nie gesehen, sie kam sicher nicht von einer großen Plantage. Jedenfalls dankte sie Deirdre zuerst scheu, dann überschwänglich für die Überlassung des Nachthemdes. So etwas Schönes hatte sie nie zuvor besessen.
»Es ist doch schön, Je… Caesar, nicht?«, vergewisserte sie sich bei ihrem Freund.
Es klang fast wie ein rührender Versuch, kokett zu sein. Aber Jefe blitzte sie nur wütend an, und Bonnie biss sich auf die Lippen. Seit sie hier war, hatte sie wieder angefangen, ihn in Gedanken bei seinem richtigen Namen zu nennen. Der Pirat Black Caesar war bewundernswert, und sie achtete ihn – aber der Mann, von dem sie träumte, war Jefe. Wobei sie ihn allerdings nie so ansprechen dürfte. Er hatte sie am Tag zuvor erst wütend angefahren, als ihr der Name herausgerutscht war, während sie allein waren. Bonnie verstand eigentlich nicht, warum er darauf so heftig reagierte. Jefe wurde unter seinem richtigen Namen nicht gesucht, er hätte ihn außerhalb der Mermaid ohne Weiteres führen können. Aber der junge Mann war fest entschlossen, alles, was mit seiner bürgerlichen Existenz zu tun hatte, zu vergessen. Bonnie bedauerte das – und hoffte mit ihrem unverwüstlichen Optimismus, dass es sich irgendwann ändern könnte.
Die liebevollen, anbetenden Blicke, die Jefe fast ständig mitDeirdre wechselte, bemerkte sie nicht. Lediglich Amali nahm sie bei einem der gemeinsamen Besuche am Krankenbett wahr, aber sie konnte ihre Beobachtungen nur mit ihrem Baby und der kleinen Nafia teilen: »Der Große schaut die Missis so an, wie die Kleine den Großen anguckt …«
Bonnie fand
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