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Die Insel der roten Mangroven

Die Insel der roten Mangroven

Titel: Die Insel der roten Mangroven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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irgendetwas Tröstliches sagen konnte. Sie hatte im Haus des Doktors gehört, dass man den Frauen die Kinder vor der Geschlechtsreife nicht wegnehmen durfte. Was das betraf, waren die Gesetze in den französischen Kolonien gnädiger als in den englischen. Ob ein Mann wie Corrière allerdings Skrupel haben würde, die kleine Namelok einfach verschwinden zu lassen, wenn ihm jemand einen guten Preis für die Mutter allein bot?
    Bonnie bezweifelte es und versank in dumpfes Schweigen. Bis das Baby irgendwann greinte und seine Mutter begann, es in den Schlaf zu singen. Bonnie lauschte ihrer tiefen, klangvollen Stimme, die eine traurige Weise in einer fremden Sprache intonierte. Die Frau musste aus Afrika gekommen sein, das Kind war sicher hier geboren. Kein Säugling überlebte einen Sklaventransport von Afrika nach Saint-Domingue.
    Der leise Gesang schläferte schließlich auch Bonnie ein, er vertrieb die furchtbaren Bilder vom Morgen, die ihr jedes Mal vor Augen traten, wenn sie die Lider senkte. Sanchez’ launige Abschiedsworte, die Männer im Todeskampf am Galgen, der sich leerende Kerker und schließlich Jefes Verzweiflung über Bonnies und seine zweifelhafte Rettung – eine Sinfonie desSchreckens, untermalt vom Gesang der jungen Frau, die dann im Traum in neues Grauen mündete. Bonnie sah Dayton mit aufgeschlitzter Kehle. Er lief blutend über den Sklavenmarkt und suchte nach ihr. Als er sie schließlich fand, bezahlte er für sie mit dem Geld, das sie für ihren späteren Laden gespart hatte. Dann zerrte er sie mit sich. Sie erkannte das Haus am Strand, die Schlachttiere … und das Bett des Backras war immer noch blutdurchtränkt.
    Bonnie erwachte mit einem Schrei, als sich über dem Meer eine goldene Sonne erhob, und fuhr sofort erneut zusammen, als sich ein Schatten über ihr auftat. Aber natürlich war es kein Geist, sondern nur eine große schwarze Frau, die eigentlich ganz freundlich wirkte.
    »He, hast du schlecht geträumt?«, fragte sie mit einem Lächeln. Über ihrem glänzenden schwarzen Mondgesicht leuchtete ein roter Turban. »Ist ein Jammer, dass die Götter uns nicht wenigstens mal schöne Träume schenken … Du bist das Mädchen vom Piratenschiff?«
    Bonnie nickte und rieb sich die Augen.
    »Tja, dann muss ich dich wohl mitnehmen«, erklärte die Frau. »Ich bin Marie. Ich koch hier für den Mèz Corrière und helf ihm mit den Mädchen … War jahrelang selbst Hure …«
    »Hure?«, fragte Bonnie. Sie war noch nicht ganz wach, aber sie hatte die Frau ganz gut verstanden und schon wieder das Gefühl, als steche ihr jemand ein Messer ins Herz.
    »Tja, Herzchen … warum soll ich’s leugnen?«, seufzte Marie. »Hab Glück gehabt, dass der Herr gerade ’ne Köchin brauchte, als der Puff von meinem Mèz schließen musste …«
    Sie zog Bonnie auf die Füße und schob sie gemeinsam mit drei anderen jungen Frauen hinaus, darunter das schluchzende Mädchen, das sich an seine Mutter klammern wollte, und die Afrikanerin mit dem Baby. Bonnie fiel auf, dass die drei anderen auffallende Schönheiten waren. Corrière wollte sie wohl Freudenhäusern anbieten. Warum er dazu allerdings auch Bonnie ausgewählt hatte, war ihr ein Rätsel.
    Sie sollte es bald erfahren.

KAPITEL 4
    V ictor Dufresne hing düsteren Gedanken nach, als er den Sklavenmarkt am Hafen betrat. Er hasste es, dort zu sein. Schon die Gerüche, die über diesen Ort waberten – Schweiß, Schmutz, Angst und Fäulnis –, verursachten ihm Übelkeit. Gewöhnlich mied er solche Märkte, aber an diesem Tag hatte der Stadtbüttel, der für die Marktordnung zuständig war, nach ihm geschickt. Den Händlern war es zwar egal, in welchem Zustand sie ihre menschliche Ware auf den Markt schleppten, doch inzwischen vermuteten die Mediziner, dass viele Krankheiten von einem Betroffenen auf den anderen übertragen werden konnten. Cholera zum Beispiel häufte sich, wenn die Kranken Kontakt mit Gesunden hatten, und auch andere Seuchen waren ansteckend – sogar von Schwarzen auf Weiße und umgekehrt, was viele Weiße immer noch überraschte.
    Der Hafenmeister hatte deshalb ein Auge auf die Sklaven, die unter seiner Obhut feilgeboten wurden, und wies wenigstens die ab, denen »der Rotz aus allen Körperöffnungen« lief, wie er an diesem Tag den Zustand von zwei schwarzen Jungen beschrieben hatte. Die Händler widersprachen ihm natürlich aufs Schärfste, und so bat er gelegentlich den Arzt, sich die Kranken anzusehen und die Entscheidung zu treffen.

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