Die Insel der roten Mangroven
Ihr einziger Vorzug war bislang noch ihre Jugend. Und die zog vor allem alte Lüstlinge wie Dayton an.
Bonnie fragte sich, ob man sie nicht besser gehenkt hätte.
Corrière erschien wenig später wieder und brachte Bonnie ein verwaschenes blaues Kleid, das ihr viel zu groß war. Er beobachtete sie dabei, wie sie sich umzog, und seufzte, als er erkannte, dass ihr ohnehin wenig reizvoller, magerer Körper auch noch mit Narben übersät war.
»Wann … wir … verkauft werden?«, wagte Bonnie schließlich, das Wort an ihn zu richten.
Ihr Französisch war nicht sehr gut. Zwar verstand sie vieles von dem Patois, das die Sklaven und Mulatten auf den Inseln sprachen – auf Captain Seegalls Schiff hatte es die verschiedensten Nationalitäten gegeben, und jeder hatte etwas von der Sprache des anderen mitgenommen. In ihrer Fähigkeit, sich auszudrücken, war sie jedoch stark eingeschränkt.
Corrière rieb sich die Stirn. »Das Gör ist mager, hässlich und kann zu allem Überfluss nicht mal vernünftig reden«, murmelte er vor sich hin. Erst dann wandte er sich an Bonnie. »Wenn dich überhaupt einer kauft, kann ich dem Himmel danken … Markt ist jedenfalls morgen. Und jetzt komm mit, ich hab ein Haus hier, da kannst du schlafen. Vielleicht kann Marie dich ja noch ein bisschen herrichten … dass du nicht gar so nach nix aussiehst.«
Bonnie folgte ihm eingeschüchtert. Sie hatte keine Ahnung, wie es dieser Marie gelingen sollte, sie bis zum nächsten Tag zu verschönern, aber sie hoffte, in Corrières Haus wieder mit Jefe zusammenzutreffen.
Das bewahrheitete sich dann allerdings nicht. Jefe wurde von einem der Gendarmen in Ketten hinübergebracht, Bonnie durfte Corrière ungefesselt begleiten. Ein paar Worte zu wechseln war dabei unmöglich. In dem schäbigen Holzhaus amHafen angekommen, wies Corrière dem Mädchen auch gleich eine Zelle mit anderen schwarzen Frauen zu. Bonnie sah, dass man Jefe die Ketten nur abnahm, um ihm Fußfesseln anzulegen. Er verbrachte die Nacht aneinandergebunden mit anderen Sklaven, alle von ähnlichem Körperbau wie er. Wahrscheinlich plante Corrière, sie als Gruppe an einen Pflanzer zu verkaufen. Zwei der Männer wiesen schwere Narben von Peitschenschlägen auf, sie wirkten auch jetzt nicht resigniert, sondern eher wütend über ihr Schicksal. Einzeln waren sie sicher kaum loszuschlagen, gemeinsam mit vorgeblich fügsamen Sklaven mochten sie jedoch trotzdem einen annehmbaren Preis erzielen.
Bonnie tapste verunsichert in das Gefängnis der Frauen, einem relativ kleinen Raum, in dem sie mit zwanzig anderen zusammengepfercht war. Aus dem Toiletteneimer in der Ecke stank es bestialisch, obwohl der Raum sonst sauber war. Es gab auch ein paar Schlafmatten, aber längst nicht genug für alle. Bonnie suchte sich einen halbwegs freien Platz und hockte sich auf den Boden. Beim Eintreten hatte sie einen Gruß gemurmelt, doch keine der Frauen antwortete, niemand schien Interesse an Konversation zu haben. Die meisten starrten einfach vor sich hin, wie Jefe in den Tagen zuvor, nur eine Frau und ein junges Mädchen klammerten sich aneinander und weinten leise – Mutter und Tochter wohl, die man am nächsten Tag wahrscheinlich getrennt verkaufen würde. Eine andere junge Schwarze hielt ein Baby in den Armen. Sie war außergewöhnlich schön, Bonnie erinnerte sie entfernt an Máanu, aber sie wirkte noch exotischer. Bonnie hatte nie eine so schlanke, sehnige Person gesehen. Der Hals der jungen Frau war lang, ihre Nase nicht breit wie die der meisten Schwarzen, sondern schmal, die Stirn hoch. Sie wirkte allerdings nicht wie ein Mischling, sondern eher wie das Mitglied einer schwarzen Rasse, die vielleicht aus einer anderen Gegend Afrikas kam als Bonnies Vorfahren. Bonnie fiel auf, dass ihre Ohrläppchen für Ohrschmuck durchbohrt waren.Das außergewöhnliche Aussehen wurde noch dadurch betont, dass die Frau ihr Haar stoppelkurz trug, es war sogar kürzer als Bonnies.
Bonnie lächelte der Schwarzen zaghaft zu, als sie aufblickte. Sie erwiderte den Blick freundlich, schien sich aber kein Heben der Mundwinkel abringen zu können. Das Baby verzog jedoch den Mund, was so niedlich aussah, dass Bonnie sich bei dem Wunsch ertappte, es in den Arm zu nehmen.
»Junge?«, fragte sie vorsichtig auf Französisch. »Mädchen?«
»Fille« , Mädchen, sagte die Frau. »Namelok«.
»Namelok Name?«, erkundigte sich Bonnie.
Die Frau nickte, dann schwieg sie wieder. Bonnie dachte darüber nach, ob sie ihr
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