Die Insel der roten Mangroven
Schankwirten und Bordellbesitzern umlagert wurde. Hier standen ausschließlich Frauen zum Verkauf. Sie waren aufreizend gekleidet und grotesk weiß geschminkt. Victor wagte es nicht, ihnen in die Augen zu sehen. Aber dann hörte er eine zaghafte, verzweifelte Stimme.
»Doktor … Mèz Victor …«
Victor fuhr herum und sah ein mageres Mädchen auf dem Podium. Bonnie steckte in einem seltsam durchlöcherten Kleid und trug darüber ein Brokatjackett, ähnlich dem, in dem der große Schwarze am ersten Abend bei ihm aufgekreuzt war. Die Ausgehuniform eines Piraten. Auf ihrem kurzen Haar saß ein Dreispitz schief, was wohl verwegen wirken sollte, doch das Gesicht darunter zeigte nur Scham und Verzweiflung. Sofern unter der schneeweißen Schminke und dem aufdringlichen Lippenrot überhaupt eine Regung erkennbar war. Victor fand schon die Mode, weiße Frauen noch heller zu schminken, hässlich. Bei schwarzen wirkte es demütigend und grotesk. Und ein Mädchen wie Bonnie …
Victor starrte sie entsetzt an. Der Händler auf dem Podium bemerkte sein Interesse sofort.
»Oh, da hat ja einer nur Augen für unsere Piratenbraut!«, grinste er. »Das ist mal was anderes für Ihre Kunden, Monsieur, oder auch für den Eigenbedarf. Mit der Kleinen haben Sie sozusagen zwei in einem! Ist als Junge mit den Piraten gefahren. Muss ich noch mehr sagen? Die macht’s Ihnen von hinten und von vorn.« Er schob Bonnie vor. »Und wie’s der Zufall will, istsie auch gleich die Nächste. Ihre Gebote, meine Herren! Die Chance, das Besondere zu erstehen …«
Bonnie hielt den Kopf gesenkt, sie weinte lautlos, die Tränen wuschen Schlieren in die weiße Schminke.
Victor trat vor. »Was wollen Sie haben für das Mädchen?«, fragte er heiser. »Ohne Auktion.«
Der Händler zog die Stirn kraus, als müsse er da etwas abschätzen. Dann nannte er einen viel zu hohen Preis. Victor dachte einen Herzschlag lang nach. Wenn er um Bonnie steigerte, würde er sie für die Hälfte des Preises bekommen. Es sah nicht aus, als gäbe es sehr viele Interessenten. Doch das Mädchen war jetzt schon bis aufs Blut gedemütigt und verängstigt.
»In Ordnung«, sagte Victor und zückte seine Börse. »So viel habe ich nur nicht bei mir. Hier sind eine Anzahlung und meine Karte. Holen Sie sich das Geld am Nachmittag bei mir ab. Falls ich einen Bürgen brauche – der Hafenmeister kennt mich …«
Der Händler lachte. »Sie kennt jeder, Doktor. Aber keine Angst, Corrière ist diskret – bleibt unter uns, Männer, dass sich der Doktor eine kleine Piratenbraut leistet, nicht wahr?«
Die Kerle an dem Stand grölten. Wahrscheinlich würden sich die Einzelheiten über Victors Sklavenkauf spätestens bis zum nächsten Tag in ganz Cap-Français verbreitet haben.
Victor würdigte den Mann keiner Antwort. Er reichte Bonnie die Hand und half ihr vom Podium, wobei er merkte, dass ihm die flammenden Blicke einer sehr schlanken, bildschönen jungen Frau folgten, die noch auf dem Podium stand, ein Baby im Arm. Victor hoffte, dass sie nicht von ihm erwartete, sie auch noch zu kaufen.
Als Bonnie das Straßenpflaster unter ihren nackten Füßen spürte, entlud sich ihre Anspannung in ersticktem Schluchzen. Sie warf sich vor Victor zu Boden und umklammerte seine Beine.
»Danke, Monsieur, danke, danke, Mèz Victor …«
Peinlich berührt zog Victor sie hoch. »Um Himmels willen,Bonnie, nun mach nicht noch mehr Aufsehen!«, fuhr er sie an. »Du brauchst mir nicht zu danken. Nur lauf uns möglichst nicht wieder weg, das wird sonst teuer – ich bin auch keinesfalls jede Woche auf diesem Markt. Und nun lass uns dies erst mal abwischen …« Er nestelte ein Taschentuch aus seinem Rock und entfernte den größten Teil der Schminke von Bonnies Gesicht. »Wir brauchen auch irgendetwas, das du überziehen kannst. Dieses Jackett …«
»Ich hab so was nie getragen«, stammelte Bonnie. »Ich meine, Bobbie …«
Victor verstand. Bobbie war kein Stutzer gewesen wie die anderen Piraten, und Bonnie fühlte sich nun erst recht dadurch gedemütigt, dass man sie zu dieser bösen Parodie auf die Sitten der Piraten zwang.
Victor sah sich suchend um und entdeckte gleich an der nächsten Ecke einen Stand mit billiger gebrauchter Kleidung. Rasch erstand er einen unauffälligen, dunklen Umhang. Bonnie schälte sich noch aus dem verhassten Jackett, obwohl sie sich dabei erkennbar schämte. Das durchlöcherte Kleid ließ ihre Brüste und ihre Hüften sehen. Bei einer Versteigerung hätte
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