Die Insel der roten Mangroven
Maroon-Führer war vom Räuber zum Aufrührer geworden – er besuchte nun heimlich die Sklavenquartiere der Plantagen und predigte den Leuten die Revolution. Er zog Haus- und Feldsklaven auf seine Seite und bereitete die Angriffe auf die Pflanzer damit vor. Die Schwarzen fühlten sich dadurch ernst genommen und halfen ihm gern, doch Macandal selbst kam es weniger auf kleinere Erfolge an wie die Befreiung von ein paar Hundert Leuten – sein langfristiges Ziel war, die Weißen in Panik zu versetzen. Irgendwann, so schien er zu hoffen, würde die Angst sie dazu bewegen, die Sklaverei aufzuheben. Tatsächlich schlotterten die Pflanzer jetzt schon vor Furcht, von Gesetzesänderungen war bislang allerdings nicht die Rede. Man verschärfte lediglich die Strafen für Aufrührerei und verbot den Sklaven mehr und mehr Vergnügungen. Einkäufe bei den pacotilleurs waren inzwischen fast nur noch im Beisein der Aufseher gestattet. Die Stimmung zwischen Herren und Sklaven wurde dabei immer schlechter, aber wenn Victor darauf hinwies und eine ganz entgegengesetzte Strategie empfahl, fielen seine Eltern, Brüder und deren Nachbarn über ihn her, als habe er Macandal persönlich verteidigt.
»Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Morde gezielt gegen Pflanzer richten, die ein strenges Regiment führen«, hielt Victor der Gesellschaft immer wieder vor. »Es muss ja ein gehöriges Hasspotenzial bestehen, wenn schwarze Köchinnen kleine Kinder vergiften.«
»Während die Maroons Hausneger mit umbringen, damit sie nicht noch Hilfe holen«, fügte Deirdre hinzu, wenn sie gelegentlich die Energie aufbrachte, sich zu streiten. »Die meisten großen Sklavenaufstände wurden durch treue Hausdiener vereitelt.«
Das war zwar eine Tatsache, aber die Dufresnes und ihre Nachbarn wollten trotzdem nichts davon wissen. Und Macandal arbeitete immer effektiver. Er musste sich hervorragend auf die Giftmischerei verstehen, seine Methoden wurden noch ausgefeilter. Inzwischen dauerte es länger, bis das Gift wirkte, in der Regel setzten die Bauchkrämpfe der Betroffenen erst bei Nacht ein. Die Täter unter den Haussklaven waren längst über alle Berge, wenn man die Suche nach ihnen am Morgen einleiten konnte. Und wahrscheinlich stellte Macandals Organisation ihnen zudem Fluchthelfer. Ein Fall wie der der Sklavin Assam wiederholte sich deshalb nicht. Die Täter – oder vermeintlichen Täter – blieben spurlos verschwunden.
»Und das Perfide ist, dass man nicht mal sicher sein kann, dass die anderen Hausnigger wirklich unschuldig sind«, wetterte Gérôme Dufresne aufgebracht. Seine erste Amtshandlung als Herr der Plantage seiner Frau war es gewesen, das gesamte Hauspersonal der Courbains zu Feldsklaven zu degradieren. »Womöglich wissen die genau Bescheid und schieben es nur auf den einen, der weg ist, um dann gleich den nächsten Anschlag auf eventuelle neue Herren zu planen.«
»Und damit steigt der allgemeine Verfolgungswahn auf ein höheres Niveau«, seufzte Victor und schaute in die Gästerunde seiner Familie beim Dinner. »Statt dass ihr euren treuesten Hausdienern Freibriefe ausstellt und den anderen begründete Hoffnungen darauf macht. Da läuft euch vielleicht auch mal einer weg und sucht sein Glück in der Stadt, aber vergiften wird er euch sicher nicht.«
Victor verleideten diese fruchtlosen Diskussionen den Aufenthalt auf seiner Heimatplantage ebenso wie die immer wieder lästigen Konsultationen bei verängstigten Pflanzern. Er kameigentlich nur noch um Deirdres willen nach Nouveau Brissac – und dachte dann auch endlich mal daran, seinen Vater um die Überlassung eines Reitknechts zu bitten, der Amali die ungeliebte Stallarbeit abnehmen und Deirdre in Cap-Français bei Ausritten begleiten konnte. Dufresne übergab ihnen bereitwillig den tiefschwarzen Leon, einen sanften Riesen mit klangvoller, tiefer Stimme und immer fröhlichem Wesen. Der junge Mann kam gern mit in die Stadt, er war gesellig, ein begabter Musiker, der Sabina, Amali und die hingerissene Nafia am Abend mit Gesang und Trommeln unterhielt. Er erwies sich als zuverlässig, war sich für keine Arbeit zu gut und übernahm auch Hausdienertätigkeiten, obwohl er ein ausgebildeter Kutscher und Reitknecht war. Victor war mehr als zufrieden mit Leon, der sich leicht und freudig in den Haushalt der Dufresnes einfügte. Seine Hoffnung, dass sich auch Deirdre schnell mit dem jungen Mann anfreunden würde, erfüllte sich jedoch nicht. Deirdre schien den Neuen nicht zu
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