Die Insel der roten Mangroven
Victor mochte seine Bitte nicht abweisen, er brachte sogar Medizin mit, die den Sklaven vielleicht helfen würde. Illusionen, für seinen Besuch bezahlt zu werden, machte er sich allerdings nicht –gerade Kinder waren nichts wert, ihr Händler würde keinen Sol an sie verschwenden.
Der junge Arzt drängte sich also durch die Menge der Käufer und Schaulustigen, sah die Aufseher und Einkäufer der großen Plantagen bei der Prüfung neuer Arbeitssklaven und schaute angeekelt weg, wenn sie die Muskeln der Männer betasteten und ihre Zähne kontrollierten. Andere Händler priesen ihre Ware als geschulte Hausdiener, wobei Victor allerdings seine Zweifel hatte. Wenn sich überhaupt jemand von ausgebildeten, zuverlässigen Knechten trennte, so wurden sie meistens an Bekannte vermittelt. Aber vielleicht hatte sich das ja inzwischen geändert. Misstrauische Plantagenbesitzer wie Gérôme mochten ihr Personal schon aus nichtigsten Gründen austauschen.
Am deprimierendsten wirkten die Stände, an denen frisch importierte Sklaven angeboten wurden. Die Männer und Frauen waren mager und wirkten völlig verängstigt. Es mochte stimmen, dass es auch in Afrika Sklaverei gab – Befürworter des Prinzips führten immer wieder an, dass dort ganze Stämme vom Sklavenhandel lebten und gern auch weiße Händler belieferten. Dieser Markt war jedoch sicher nichts, auf das die Menschen vorbereitet waren. Von der Sprache bis zur Kleidung, von der Nahrung bis zum Hausbau war ihnen alles fremd.
Victor mühte sich, so schnell wie möglich an den Ständen vorbeizukommen, und erreichte dann auch bald das Büro des Hafenmeisters. Es war in einem schlichten Holzhaus untergebracht, die zwei Jungen hatte man im Hinterhof angekettet. Victor folgte dem gelassenen Hafenmeister und dem lamentierenden Händler zu ihnen hinaus und war entsetzt. Die beiden waren unterernährt und todkrank. Der Ältere hustete, der Jüngere lag apathisch am Boden und wehrte nicht einmal die Fliegen ab, die sich auf sein schweißfeuchtes Gesicht setzten. Aus seiner Nase lief gelblich grüner Rotz, der Hafenmeister hatte nicht übertrieben.
Victor seufzte. »Sie haben Recht, die können so nicht verkauft werden«, entschied er für den Hafenmeister und wandte sich dann an den Händler. »Und das liegt doch auch nicht in Ihrem Sinne, Monsieur. Wer gibt Ihnen denn was für die beiden? Haben Sie kein Haus hier, in dem Sie Ihre Sklaven zwischen den Märkten unterbringen? Da gibt es doch bestimmt Frauen, die sie pflegen würden.«
Der Händler schnaubte. »Keine Chance. Die Weiber packen die nicht an. Die Kerle sind wohl aus irgendeinem Stamm, der sich in Afrika nicht sonderlich beliebt gemacht hat. Jedenfalls weigert meine Bonne sich beharrlich, auch nur einen Handschlag für sie zu tun. Ich kann sie natürlich zwingen. Aber ob das was bringt …« Der Mann zuckte die Achseln.
Victor verstand. Seine Haushälterin hatte zweifellos ihren eigenen Kopf, und wenn sie dem Haus sonst gut vorstand, wollte der Mann es sich offensichtlich nicht mit ihr verscherzen. Sie würde die Jungen dann wohl auch eher vergiften als pflegen. Es endete oft blutig, wenn afrikanische Stammesfeindschaften auf die Sklavenquartiere der Plantagen übergriffen.
»Es wäre jedenfalls gut, wenn sich irgendjemand fände, der sich um sie kümmert«, bekundete Victor. Er sah schwarz für die Jungen, aber er würde dieses Problem auch nicht lösen können. Immerhin öffnete er seine Tasche und übergab dem Händler die Medizin, die er mitgebracht hatte, sowie einige Kräuter. »Sie sollten die Jungen warm halten und ihnen dreimal täglich einen Teelöffel von diesem Sud geben. Wenn sie etwas essen wollen, so viel wie möglich, leichte Kost, Haferbrei oder in Milch eingeweichten Zwieback. Sie müssen aufgepäppelt werden. Und wenn Sie in ihrer Hütte diese Kräuter verbrennen, sollten sie besser Luft bekommen.«
Victor bezweifelte, dass irgendeiner seiner Ratschläge befolgt werden würde. Mehr konnte er jedoch nicht tun, wenn er die Jungen nicht gleich kaufen und in sein eigenes Haus mitnehmen wollte. Und wenn er mit solchen Hilfsaktionen erst mal anfing, würde er sich schnell ruinieren – ganz zu schweigen von dem Risiko, sich eine ansteckende Krankheit in die Arztpraxis zu holen.
Resigniert machte er sich wieder auf den Heimweg über den Markt und versuchte, nicht nach rechts und nicht nach links zu sehen. Er warf auch nur einen kurzen, angewiderten Blick auf einen Stand, der von Schaulustigen,
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