Die Insel der roten Mangroven
auf ein Tuch gelegt worden. Es wirkte fast, als habe ihre Tochter dort ihre Beziehung zu Victor für ein paar unbeschwerte Stunden beiseitegelegt – nicht zerschlagen, nur unterbrochen wie eine Arbeit oder die Lektüre eines Buches, und nicht besorgt und schuldbewusst, sondern ganz fürsorglich und selbstverständlich.
Nora starrte einen Herzschlag lang auf den Ring, bevor sie die Blicke durch das Innere des Schuppens schweifen ließ. Sie entdeckte Deirdre und ihren Liebhaber umgehend, aber die Stellung, in der die beiden sich vereinigt hatten, war ihr völlig neu. Sie schienen Nora auch zunächst nicht zu bemerken. Erst als sie die Tür laut hinter sich zuschlug, schaute Deirdre verblüfft zwischen zwei tiefschwarzen Schenkeln hervor – und wurde sofort rot, als sie Nora erkannte. Mit Amali mochte sie gerechnet haben, ihre Mutter hätte sie hier wohl nie vermutet.
Nora verfolgte schweigend, wie ihre Tochter verzweifelt versuchte, sich mit einem Rest von Würde aus der kompromittierenden Situation zu befreien. Von ihrem Liebhaber sah Nora nur üppiges krauses Haar, das Gesicht des Mannes erkannte sie erst, als Deirdre sich aufgerichtet hatte. Dann aber fühlte Nora ihr Herz zu Eis erstarren.
Jefe. Caesar.
Nora atmete tief durch. Sie musste jetzt ruhig bleiben, durfte die Nerven nicht verlieren. Mit letzter Kraft straffte sie sich und blitzte die beiden an, die nun verschämt versuchten, ihre Blöße zu bedecken.
»Am besten zieht ihr euch erst mal an«, sagte Nora mitleidlos.
Jefe streifte schnell seine Leinenhose und das weite Hemd über. Deirdre blickte hilflos auf ihr Korsett. Nora half ihr schließlich, sich zu schnüren.
»Du kannst dann auch gehen«, wandte sie sich an Jefe – der sie anstarrte, als sähe er einen Geist. Erinnerte er sich nun doch? Auf jeden Fall widersprach er nicht, sondern machte Anstalten, sich wie ein geprügelter Hund hinauszuschleichen.
»Oder nein, warte …«
Nora fiel im letzten Moment ein, wie gefährlich der Heimweg für den jungen Mann werden konnte. Sie griff nach einem Stück Papier und einem Bleistift, die im Eingang des Schuppens auf einem Regalbrett gelegen hatten. Die Aufseher notierten hier wohl die Menge der eingebrachten Kaffeebohnen.
»Ich schreibe dir einen Passierschein. Nicht auszudenken, dass sie dich auch noch erwischen und auspeitschen … Obwohl … eine Tracht Prügel hättet ihr wohl beide verdient …«
Nora kritzelte ein paar Worte auf das Papier, während Deirdre ihr Kleid überzog. »Und nun verschwinde!«, sagte sie kurz und drückte Jefe das Schreiben in die Hand.
»Sie … werden uns nicht melden?«
Er fragte so ungläubig, dass Nora fast meinte, den kleinen Jungen wieder vor sich zu sehen, der schon damals unüberlegt gehandelt hatte und oft ausfallend gewesen war und dennoch den Charme gehabt hatte, der auch seinen Eltern in deren besten Zeiten eigen gewesen war.
»Verschwinde«, wiederholte Nora, und Jefe ging.
»Gut, dann also zu dir.« Nora wandte sich ihrer Tochter zu,die ihrem Liebhaber fassungslos hinterhersah. Ob sie erwartet hatte, dass er blieb und sie unterstützte? »Du hast Victor betrogen …«
»Wirst du’s ihm sagen?«, fragte Deirdre.
Es sollte wohl herausfordernd klingen, aber Nora vernahm bei der jungen Frau auch die Stimme des kleinen Mädchens, das etwas angestellt hatte.
»Nein«, antwortete Nora, griff nach dem Ehering und warf ihn Deirdre zu. »Es wäre sinnlos, ihm wehzutun. Diese Sache hat ja hiermit ein Ende.«
»Ach so?« Jetzt zeigte sich wieder Trotz auf Deirdres schönem Gesicht. »Und was ist, wenn ich das ganz anders sehe? Wenn ich … also wenn ich mich von Victor scheiden lassen will und Caesar heiraten …«
Nora schüttelte den Kopf. »Du bist Katholikin, du kannst dich nicht scheiden lassen«, erinnerte sie ihre Tochter. »Aber selbst, wenn du könntest. Mit dir und Jefe – das ginge nicht.«
»Und warum nicht?«, fuhr Deirdre ihre Mutter an. Sie schien gar nicht bemerkt zu haben, wie Nora ihren Liebhaber genannt hatte. »Weil er schwarz ist? Vergisst du da nicht, dass ich auch schwarz bin? Auf dem Papier jedenfalls … und …«
Nora gebot ihr mit einer Handbewegung Einhalt. »Auf dem Papier bist du weiß«, sagte sie. »Aber damit hat es sowieso nichts zu tun. Du kannst Jefe – den jungen Mann, den du als Caesar kennst – nicht heiraten. Nirgendwo auf der Welt. Ihr seid verwandt …«
Deirdre lachte nervös. »Verwandt? Aber … aber wir …«
»Er ist dein
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