Die Insel der roten Mangroven
dunklen Mantel über ihr helles Kleid gezogen. Nur ihr Parfüm … Er fragte sich, wie lange sie schon da gestanden und zu ihm hinübergesehen hatte.
Deirdre schien jedoch eben erst gekommen zu sein, jedenfalls entschuldigte sie sich für die Verspätung. »Es ging nicht schneller, ich … ich musste mich erst ankleiden.« Mit Amalis Hilfe hatte sie dabei wohl nicht rechnen können.
Jefe zog sie an sich. »Für mich brauchtest du dir nichts anzuziehen«, flüsterte er.
Er meinte es ernst. Sie hätte diesen Mantel auch einfach über ihr Nachthemd werfen können. Umso näher wären sie einander gewesen, und umso einfacher wäre es gewesen, vor der Flucht noch einmal dem Drang zu folgen, sich zu vereinigen.
Aber Deirdre wehrte sich gegen seine Umarmung. Jefe war irritiert.
»Lass das, Caesar, ich … ich will das nicht …«
Jefe lachte leise. »Ach komm, Deirdre … sei doch nicht böse. Ich hätte nicht einfach weglaufen dürfen. Ich … ich war nur so erleichtert. Als ich die Frau sah, dachte ich doch, jetzt sei alles aus. Deine Mutter …«
Deirdre befreite sich aus seiner Umarmung und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach das … vergiss es, ich bin dir nicht böse. Die Sache mit uns muss trotzdem ein Ende haben. Es geht nicht mehr, Caesar, bitte, sieh es ein. Ich will nicht mehr.«
Jefe schnaubte. »Auf einmal?«, fragte er. »Hat die weiße Mommy ihrem weißen Töchterchen ins Gewissen geredet? Oder hast du Angst?« Sein Tonfall wurde wieder weicher. »Du brauchst keine Angst zu haben, Deirdre, ich habe mir etwas überlegt. Pass auf, wir verschwinden. Wir fliehen zusammen, jetzt gleich! Wir suchen die Maroons … Du gehst sicher leicht als Mulattin durch, mit deinem dunklen Haar, du …«
Er hielt verblüfft inne, als er sie lachen hörte.
»Was ist daran komisch?«, fragte er böse.
Deirdre biss sich auf die Lippen. »Nichts … nichts natürlich. Nur … ich als Mulattin …«
Sie lachte wieder, fast hysterisch, sie konnte nicht damit aufhören.
Für Jefe klang es wie Spott. »Das wäre undenkbar?«, fragte er wütend. »Es wäre undenkbar für dich, unter deiner Würde, nur ein schlechter Scherz, wenn du schwarz sein solltest?«
Deirdre schüttelte den Kopf und versuchte, sich zu beruhigen. »Nein, nein, natürlich nicht. Ich kann trotzdem nicht. Ich will nicht. Ich will nicht in die Berge …«
»Und warum nicht?«, stichelte Jefe. »Weil du dein gemütliches Leben dann aufgeben müsstest? In einer Hütte leben statt in einem Palast?« Er wies auf das Herrenhaus vor ihnen.
Deirdre schloss die Augen. Einen Herzschlag lang verlor sie sich an den Traum einer Hütte in den Bergen, einem Leben mit ihrem Caesar … der Anflug einer Erinnerung an Nanny Town schob sich vor ihr inneres Auge. Runde Hütten, glückliche schwarze Kinder, die in ihrem Schatten spielten … Aber dann wurde ihr erneut bewusst, dass der Mann, von dem sie träumte, Jefe war, ihr Bruder.
»In … in gewisser Weise«, murmelte sie. Irgendeinen Grund musste sie ihm nennen, er würde sie sonst weiter bedrängen. »Ich … ich möchte bei Victor bleiben.«
»Du liebst mich nicht genug!«, schleuderte Jefe ihr entgegen. »Um es mit dir zu treiben war ich gut genug, aber mit mir leben, in einer Familie …«
Deirdre versuchte krampfhaft, gegen die Tränen anzukämpfen, die ihr in die Augen schossen.
»Caesar, ich liebe dich sehr …«, flüsterte sie, und es war die Wahrheit.
Sie durfte ihn ja auch lieben. Niemand konnte ihr verbieten, ihren Bruder gern zu haben. Und sie konnte Victor lieben … Seit Nora am Nachmittag mit ihr gesprochen hatte, kämpfte sie wieder mit Selbstvorwürfen. Sie hatte Victor Unrecht getan, und das, obwohl er ihr nach wie vor alles bedeutete.
»Das tust du nicht!«, rief Jefe. »Du verachtest mich! Du hast mich nur benutzt, du … Ich liebe dich, Deirdre!«
Deirdre brach das Herz, als er es noch einmal mit Flehen versuchte.
»Ich liebe dich, ich würde alles für dich tun. Ich werde dich auch weiter lieben, ich lasse dich nicht einfach gehen, ich werde hier sein, immer, immer werde ich hier sein, und eines Tages wirst du wieder …« Er griff nach ihren Händen.
Deirdre wollte nachgeben, sich an seine Brust sinken lassen. Aber dann nahm sie sich zusammen. Sie musste sich jetzt verhärten, auch um seinetwillen. Wenn er ihr wirklich auflauerte,wenn er jedes Mal, wenn sie auf Nouveau Brissac oder Roche aux Brumes waren, weglief und im Garten auf sie wartete … Es war nur
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