Die Insel der roten Mangroven
Bann, dass er sich zwingen musste, seine Aufmerksamkeit auf Macandal zu richten.
In diesem Moment warf sich auch die restliche Gemeinde in den Staub, die Menschen auf dem Versammlungsplatz erwarteten Macandal auf den Knien. »Heiland, Erlöser, Messias«, riefen sie. Der Schwarze Messias lächelte und gebot ihnen mit einer bescheiden wirkenden Geste, sich wieder bequemer zu setzen. Der Aufforderung kamen sie schnell nach, die Hochrufe verstummten langsam.
Schließlich erhob sich Macandals Stimme. Eindringlich und betörend wie damals in dem Schuppen, in dem Jefe ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Hier, vor seinem versammelten Volk, sprach Macandal noch machtvoller und selbstbewusster.
»Meine Freunde!«, grüßte er die Zuhörer, »ehrt nicht mich. Ehrt die Götter und Geister, die mich gesandt haben!«
Macandal griff nach einer Fackel und entzündete einen vorbereiteten Holzstoß. Das Feuer loderte sofort auf, und eine der Frauen, Jefe erkannte die weiß gekleidete, die ihm zuvor den Weg zu den Ställen gewiesen hatte, bereitete einen Kessel vor, der darübergehängt wurde. Eine andere brachte ein Huhn, eine weitere Kalebassen mit Zuckerrohrschnaps und Rum – die Voodoo-Zeremonie begann. Aber Macandal beschwor nicht nur die Götter, seine Opferfeier und Anrufung verlief eher verhalten. Jefe fiel auf, dass keine Schnapsflaschen kreisten und dass niemand in Trance verfiel, schrie und zuckte, wie er es von Obeah-Zeremonien kannte, wenn die Geister in die Körper der Gläubigen fuhren. Ob das eine mit dem anderen zusammenhing? Jefe hatte Besessenheit immer für eine Folge des massiven Alkoholgenusses während der Zeremonien gehalten. Hier wünschte man sich offenbar, dass die Gläubigen einen klaren Kopf behielten, auch wenn die Dämpfe, die schließlich aus dem Kessel drangen, nachdem sich darin das Blut der Opfertiere, der reichlich damit vermengte Zuckerrohrschnaps und die Aromen verschiedener Kräuter verbanden, durchaus etwas Betäubendes hatten. Oder Belebendes?
Jefe wusste nicht, ob er seinen Willen verlor oder gerade an Mut und Zuversicht gewann. Die Gesänge der Gemeinde waren auf jeden Fall lauter und eindringlicher als alles, was er bisher auf ähnlichen Zusammenkünften gehört hatte. Mitunter klangen sie mehr wie Schlachtrufe denn wie Hymnen.
»Die Götter lieben euch!«, rief Macandal, während er die Gemeinde mit der Flüssigkeit aus dem Kessel bespritzte, um siezu heiligen und zu segnen. »Und sie haben euch Geschenke gemacht! Eines davon bin ich – ich wurde geschickt, um euch in die Freiheit zu führen! Und das zweite ist das Land! Wir alle hier … oder zumindest unsere Väter, haben schon einmal Land besessen. Drüben in Afrika, in unserer Heimat. Dann verschleppten uns die Weißen, getrieben von Habgier und Bosheit, in ein neues Land, das vermeintlich ihnen gehört. Aber so ist es nicht! Land gehört immer denjenigen, die es bearbeiten. Und wir haben dadurch Anspruch auf dieses Land! Die Götter haben es mir offenbart, sie stehen hinter euch, sie schenken euch, sie schenken uns, Hispaniola, dieses Land. Schaut es euch an, meine Kinder!« Macandal zog eine der jungen Frauen, die im Halbkreis um das Feuer knieten, in dessen hellen Schein und strich ihr etwas von dem Blut aus dem Kessel auf die Stirn. Dann öffnete er ihr Gewand, das fließend an ihr herabglitt. Die zierliche Schwarze kniete jetzt nackt vor der Versammlung, doch sie lächelte, beseelt von der Ehre, für dieses Ritual erwählt worden zu sein.
»Wenn dies hier, wenn sie Hispaniola ist«, Macandal zog wie ein Magier ein Tuch aus einem Gefäß, das hinter ihm am Feuer stand, »so trug sie zunächst diese Farbe.« Feierlich legte er der Frau einen gelben Schal um die Schultern, der ihre Blöße allerdings kaum verdeckte. »Die Farbe der Indianer, der Arawak, die ursprünglich hier lebten.« Vereinzelt jubelten die Zuhörer auf. Wohl die Nachkommen der Arawak unter den Maroons. »Dann erschienen die Weißen«, Macandals Stimme wurde drohend, Jefe meinte, irgendwo ein Trommeln zu hören, das seine Worte unterstrich, »und sie töteten die Menschen der Stämme. Die Menschen, denen dieses Land wirklich gehörte! Sie unterjochten sie, brachten ihnen ihre Krankheiten, ihren Schnaps, ihre Laster.« Macandal nahm ein großes weißes Tuch und drapierte es so über den Körper der jungen Frau, dass es den gelben Schal größtenteils verdeckte. »Erst kamen die Spanier, dann dieFranzosen«, sprach er weiter, »alle bösartig und verderbt.
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