Die Insel der roten Mangroven
Doch die Götter ließen sie in ihr Unglück laufen, indem sie in ihrer Gier und ihrer Selbstüberschätzung auf den Schwarzen Kontinent übersetzten, um Sklaven für ihre Plantagen zu fangen. So kamen wir nach Hispaniola, meine Freunde. So kam ich nach Hispaniola – und ich bringe die Rache!« Wie durch einen Zauber erschien plötzlich ein schwarzes Laken in Macandals Hand. Liebevoll hüllte er die Frau darin ein, bis von dem weißen Schal nichts mehr zu sehen war. »Seht ihr, wem Hispaniola gehören wird, wenn wir nun endlich kämpfen?«, fragte Macandal mit lauter, tragender Stimme in die Menge.
Die Leute jubelten, klatschten, einige Frauen gaben eine Art Trillern von sich. Die junge Schwarze auf der Bühne zog das Tuch enger um sich und blickte zu Macandal auf.
»Ich gehöre dir, nur dir!«, flüsterte sie.
Jefe las die Worte mehr von ihren Lippen ab, als sie zu hören, doch Macandal musste sie vernehmen können, und er nickte. »Ich gehöre euch allen!«, sagte er gütig. »Ich gehöre dem Land, ich bin das Land …«
»Du wirst niemals sterben!«, rief eine der Frauen.
»Ich werde niemals sterben!«, bestätigte Macandal.
Erneut schrien und pfiffen seine Anhänger.
»Und bald, bald kommt nun der Tag, an dem wir triumphieren werden!«, rief Macandal. »Also tut, was euch aufgegeben ist – die Männer bereiten sich vor für den Kampf, die Frauen helfen mir mit den Pflanzen und den Tränken. Viele tausend Giftrationen wollen vorbereitet sein, um die Pflanzer in die Hölle zu schicken. An jenem großen, gesegneten Tag!«
Macandal erhob sich und reichte der jungen Frau an seiner Seite die Hand, um sie in den Tempel zu führen. Sie strahlte und warf den anderen Frauen um sich herum triumphierende Blicke zu. Wahrscheinlich würde sie in dieser Nacht das Lager des Geistes teilen. Die beiden verschwanden wie ein Götterpaaraus dem Feuer- in den Fackelschein am Eingang zur Grotte und dann ganz in dem roten Hügel. Das Tor schloss sich hinter ihnen, Mayombe und Teysselo platzierten sich davor.
»Ich dachte, ich sollte noch mit ihm reden«, wandte sich Jefe etwas benommen an die beiden Männer, die ihn herbegleitet hatten.
Einer von ihnen nickte. »Ja. Wir dich melden, Er dich rufen. Du gehen zu Tür, warten. Er dich rufen. Sicher.«
Jefe fragte sich, ob der Geist nicht gerade Dringlicheres zu tun hatte. Sein Blick auf die junge Frau war ziemlich eindeutig gewesen. Aber gut, er konnte warten. Vor der Tür saßen einige der Frauen, die zuvor um das Feuer gekniet hatten. Sie schienen ebenfalls zu warten. Ob sie auch ein Anliegen hatten? Oder gar in der Grotte wohnten? Auch die weiß gekleidete Frau saß am Eingang zur Grotte, mit gleichmütigem Gesicht. Als sie Jefes Sattel und die Waffen sah, erkannte sie ihn und lächelte.
»Hat dir das keiner abgenommen, neuer Mann?«, fragte sie.
Jefe schüttelte den Kopf. »Im Stall war niemand. Und einfach dalassen wollte ich es nicht. Ich meine … wenn hier selbst Rinder gestohlen werden, mitten im Dorf …«
Die Frau verzog das Gesicht. »Niemand hier stiehlt«, erklärte sie dann. »Schon gar keine Rinder. Das ist nur eine verrückte Idee von Simaloi.«
»Von wem?«, fragte Jefe.
Die Frau zeigte in Richtung des Rinderkorrals. »Von der Frau mit den Rindern. Sie kommt aus Afrika, wo sie zu einem seltsamen Stamm gehörte. Für die Leute dort ist der Wert einer Frau davon abhängig, wie viele Rinder sie hat – und hier hatte Sima natürlich keine. Sie kam völlig außer sich hier an, war ausgerissen aus einem Bordell in Port-au-Prince. Und hat da wohl ein Kind zurücklassen müssen oder verloren. Sie spricht kaum Französisch, leider haben wir hier niemanden, der ihre Sprache versteht. Von ihrem Stamm wird wohl nur selten jemand verschleppt. Weil es große Krieger seien, meint sie. Das sind andere allerdings auch. Ich denke eher, ihr Stamm zieht viel im Inland herum. Das macht es schwerer für Sklavenfänger, die wollen ihre Beute ja nicht tagelang jagen … Wie auch immer – Sima war sehr unglücklich, und mein Mann … Na ja, wenn er etwas will …« Sie seufzte und hob resigniert die Arme.
»Dein Mann?« Jefe verstand jetzt nichts mehr.
»Mein Ehemann«, erklärte die Frau spöttisch und wies auf die Tür zu der Grotte, vor der sie warteten. »Ich bin Mireille Macandal. Und es ist nicht so, dass Er mich nicht schätzt. Aber Simaloi und Kiri, mit der er gerade dort drinnen ist, und Colette und Camille … Nun ja, er hat ein großes Herz, wenn du
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