Die Insel der roten Mangroven
auf … Aber ich möchte verstehen …« Jefe hätte gern mehr über die Strategie Macandals gewusst. Über den Tag des letzten Kampfes, von dem alle sprachen.
»Du bist ein kluger Kopf, Caesar«, sagte Macandal. »Und du hast Recht. Ja, sie werden ihre Truppen wieder sammeln. Sicher auch welche aus Frankreich anfordern, die paar Männer, die sie hier noch haben, sind uns zahlenmäßig jetzt unterlegen. Und ja, sie werden ein Heer aussenden. Doch das alles kostet Zeit. Vor ihrem Weihnachtsfest, vor der Geburt des Messias, werden sie es nicht schaffen. Und wenn die Truppen dann ankommen … nun, sie werden ein Land im Aufruhr vorfinden, verwüstete Plantagen, die letzten überlebenden Pflanzer in Panik. Wir geben ihnen dann nur noch den Rest und sehen zu, wie sich die letzten Weißen um die Plätze auf den Schiffen schlagen, um Hispaniola zu verlassen!«
Macandal hatte sich in Rage geredet. So würde es auch klingen, wenn er seinen Plan erst all seinen Gefolgsleuten vortrug.
Jefe glühte vor Stolz, dass ihn der Geist als Ersten ins Vertrauen zog. »Also Weihnachten?«, fragte er.
Macandal nickte.
KAPITEL 2
D eirdre Dufresne und ihre Eltern sollten erst während ihres nächsten Besuchs auf Nouveau Brissac von Jefes Flucht erfahren. In den Wochen bis dahin drängte niemand darauf, Victors Familie allzu bald wiederzusehen. Deirdre fürchtete sich vor einer erneuten Begegnung mit Caesar – den sie jetzt konsequent Jefe nannte, wenn sie an ihn dachte. Mithilfe ihrer Eltern wärmte sie die Erinnerungen an ihren Halbbruder wieder auf. Nora erzählte ihr alles, was in Nanny Town geschehen war, und Doug steuerte Berichte über die kurze Zeit bei, die Jefe mit den Fortnams auf Cascarilla Gardens verbracht hatte.
»Wir mochten ihn gern, aber er trieb uns auch oft zur Weißglut«, lächelte er. »Er war ein Wirbelwind und grundsätzlich immer erst mal gegen alles.«
»Máanu und Nanny hatten ihn maßlos verwöhnt«, fügte Nora hinzu. »Er mochte sich nicht anpassen, nichts lernen … Ich frage mich, wie er später auf Grand Cayman klargekommen ist.«
»Er hätte auf jeden Fall einen Vater gebraucht«, meinte Doug, »aber mit dem Zusammenleben von Máanu und Akwasi hat es ja wohl nicht geklappt.«
»Habt ihr denn überhaupt noch mal etwas gehört von Máanu und Akwasi?«, erkundigte sich Deirdre. »Und von … von Jefe?«
Nora zuckte die Schultern. »Gemeldet hat Máanu sich nie –obwohl sie schreiben konnte. Sie war wohl sehr enttäuscht, dass man ihr nicht erlaubte, mit Akwasi zusammenzuleben.«
»Jedenfalls nicht, ohne sich wieder in Sklaverei zu begeben«, fügte Doug hinzu. »Als ich das hörte, habe ich das Schlimmste befürchtet, aber so weit ging die Liebe wohl doch nicht. Zum Glück!«
Nora schüttelte den Kopf. »Máanus Liebe hätte dafür sicher ausgereicht«, widersprach sie. »Sie … Ich denke, sie hat es für Jefe getan. Das Kind wäre ja sonst auch als Sklave aufgewachsen, und das wollte sie nicht.«
Doug seufzte. »Und nun ist er doch als solcher geendet. Jefe ist Akwasi zu ähnlich. Er steht sich wie sein Vater selbst im Weg.«
Deirdre biss sich auf die Lippen. Sie wurde diesmal weitaus besser mit dem Verlust Jefes fertig als bei seinem ersten Verschwinden. Sicher auch deshalb, weil sie sich nun endlich erklären konnte, was die unwiderstehliche Anziehungskraft ausgemacht hatte, die er auf sie ausgeübt hatte. Es musste eine vage Erinnerung gewesen sein – und sie hatten beide den Ruf des Blutes falsch verstanden …
Jetzt, da endlich alles geklärt war, genossen Nora und Doug ihren Aufenthalt in Cap-Français. Auf die Plantagen im Inland zog sie nichts. Tatsächlich graute es ihnen sogar schon vor den Weihnachtsfeiertagen, die sie unweigerlich unter all den bornierten Pflanzern und Sklavenhaltern auf Nouveau Brissac würden verbringen müssen. Schon das, was man in Cap-Français über den immer härteren Kurs hörte, den die Plantagenbesitzer in Saint-Domingue gegen ihre Schwarzen fuhren, entfachte ihren Widerspruchsgeist. Und die Dufresnes rissen sich vermutlich auch nicht um weitere Besuche der angeheirateten Verwandtschaft aus Jamaika. In den letzten Tagen mit ihnen waren Doug häufig Bemerkungen herausgerutscht, die ihn nicht beliebter gemacht hatten. Die französischen Pflanzer wollten nichts darüber hören, wie man das Maroon-Problem friedlich lösenkonnte – sie waren aufgebracht über Macandals Morde, und sie wollten Blut sehen. Wenn es sein musste, auch das der eigenen
Weitere Kostenlose Bücher