Die Insel der roten Mangroven
Arbeiter!
»Mein Bruder hat jedenfalls wieder hart durchgegriffen!« Victor seufzte, als sie bei einer Abendeinladung beim Gouverneur von der Flucht eines Sklaven von Roche aux Brumes und der Ermordung des berüchtigten Mèz Oublier hörten. »Dabei war der Kerl, der die Tat begangen hat, sowieso weg, und die anderen wussten offenbar von nichts. Jedenfalls hat keiner was gestanden, obwohl Gérôme alle Feldsklaven hat auspeitschen lassen. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie jetzt auch die Flucht planten.«
Nora und Doug wechselten einen besorgten Blick, als sie vom Entkommen des Sklaven hörten. Ihnen war sofort der Gedanke an Jefe durch den Kopf geschossen, Victor wusste jedoch nicht, um wen es sich handelte.
Deirdre hielt sich bei den Diskussionen an diesem Abend ganz zurück. Sie repräsentierte die Arztfrau an der Seite ihres Mannes und tanzte mit jedem, der sie dazu aufforderte. Victor war überglücklich über die Veränderungen in ihrem Wesen. Deirdre schien ihre Schwermut endlich überwunden zu haben. Sie wandte sich ihrem normalen Leben in Cap-Français wieder zu, nahm regen Anteil an Victors Arbeit, dem Leben der Diener und dem Aufwachsen der Kinder. Sie versöhnte sich mit Amali, beobachtete interessiert Leons Werben um Bonnie und machte die Köchin endlich wieder glücklich, indem sie der Zusammenstellung der Speisefolge die gebührende Aufmerksamkeit schenkte sowie Abendessen und kleine Gesellschaften plante.
Im November kam dann allerdings noch eine Einladung aus Nouveau Brissac, die Victor, Deirdre und die Fortnams nicht ablehnen konnten. Yvette hatte ihrem Gérôme einen Sohn geboren, und auf Roche aux Brumes stand die Taufe an. Deirdrebangte ein wenig vor einem möglichen Wiedersehen mit Jefe, aber Nora fand ihre Ahnung schon bestätigt, als sie gleich am Morgen nach ihrer Ankunft mit Victor zum Sklavenquartier ritt, um Kranke zu behandeln. Der entflohene Sklave aus Roche aux Brumes war tatsächlich Jefe gewesen, seitdem fehlte von ihm jede Spur. Bei den anderen Sklaven der beiden Plantagen hatte er sich damit den Ruf eines Freiheitshelden erworben. Die Stimmung zwischen Herren und Sklaven war im ganzen Umkreis schlecht. Gérôme hatte sich die letzten Sympathien seiner Leute verscherzt, als er nach Oubliers Tod regelrecht unter den Feldsklaven hatte wüten lassen. Victors Befürchtungen bewahrheiten sich – zwei der Männer waren bei oder nach den Auspeitschungen gestorben, kurz danach waren drei geflohen, die allerdings bald wieder eingefangen und drakonisch bestraft worden waren. Einer von ihnen starb an Wundbrand, nachdem man ihm die Sehne durchgeschnitten hatte. Das alles schürte den Hass. Weder Victor noch Nora schmeckte fürderhin das Essen, das man ihnen auf Nouveau Brissac oder Roche aux Brumes vorsetzte. Sie waren beide überzeugt davon, dass jeder Haussklave freudig für Macandal getötet hätte, wäre nur ein Ruf an ihn erfolgt.
»Ach, das legt sich alles wieder nach dem Weihnachtsfest«, meinte allerdings Gisbert Dufresne, als Victor ihm und seinem Bruder die schlechte Stimmung in ihren Sklavenquartieren vorhielt. »Wenn sie sich erst nach Herzenslust vollgefressen und besoffen haben, sind sie auch wieder ganz zufrieden mit ihren Mèz.«
Auch in Saint-Domingue war das Weihnachtsfest der Höhepunkt des Jahres für die Feldarbeiter. Allerdings gingen die Herren weit über das hinaus, was die Engländer auf Jamaika ihren Leuten boten. Auf Hispaniola hatten die Sklaven nicht einfach nur frei, die Pflanzer richteten ein aufwendiges Fest für sie aus. Es gab Essen so viel sie wollten, oft brieten ganze Ochsen amSpieß, und auch der Alkohol wurde nicht rationiert. Die Pflanzer ließen Musiker kommen und ihren Leuten zum Tanz aufspielen, und am Weihnachtstag lockerten sich in der Regel die Versammlungsverbote. Besuche von Freunden oder Familienmitgliedern von anderen Plantagen wurden geduldet. Besonders die Dufresnes ließen sich zu Weihnachten nicht lumpen. Nicht nur ihr Weihnachtsball für die Weißen galt als eines der wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse des Landes, sondern auch das Fest für ihre Sklaven.
»Und jetzt, da Oublier weg ist«, fügte Gérôme hinzu, »also versteht mich richtig, er war großartig, ich werde nie wieder einen Aufseher finden wie ihn, aber die Risiken, die er beim Kauf von Sklaven eingegangen ist … Wir werden das jedenfalls nicht so weitermachen. Besser ein bisschen mehr Geld ausgeben und dafür einen gefügigen Sklaven haben. Dieser
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