Die Insel der roten Mangroven
Festgäste – Jefe lächelte – würden auch Victor Dufresne überfordern. Zumal der die Wirkung des Giftes ja auch am eigenen Leibe spüren würde. Der Doktor und seine Deirdre … Jefe schwankte zwischen dem Bedauern, ihren schönen Körper zerstören zu müssen, und der Vorfreude auf seine Rache. Am Ende überwog diese. Deirdre hatte ihn weggestoßen, sie hatte zu den Weißen gehören wollen. Jetzt würde er zusehen, wie sie mit ihnen unterging! Jefe kämpfte die Erinnerung daran nieder, wie sehr er die junge Frau geliebt hatte.Ein Irrweg – ein entsetzlicher Irrweg, wenn er an die Mermaid und ihre Besatzung dachte. Er hatte seine Freunde und beinahe sein Leben geopfert für eine Frau, die wahrscheinlich nicht mal mit ihm gegangen wäre, wenn er ihr alle Schätze der spanischen Goldminen zu Füßen gelegt hätte.
Jefes Blick wanderte zu Simaloi. Sie war ganz anders, sie war fügsam, sanft – und doch bereit, für ihre Sache zu kämpfen. Irgendwann würde sie auch Leidenschaft entwickeln, da war er sich sicher. Wenn sie nur wirklich sein werden könnte … Er hatte sie förmlich um ihre Hand gebeten, als er ihr die letzten Rinder gebracht hatte, dabei jedoch festgestellt, dass sie die Frage nicht wirklich verstand. Sie hatte das nicht zu entscheiden. Ob sie einem Mann gegeben wurde oder nicht, bestimmte ihr Vater.
»Der ist doch tot!«, hatte Jefe verwirrt eingewandt, woraufhin Simaloi den Kopf gesenkt hatte.
»Dann bestimmen die Geister«, hatte sie gemurmelt.
Jefe verstand. Die Geister sprachen mit Macandal.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Zeremonie zu. Macandal segnete seine Zuhörer mit dem Blut- und Alkoholgemisch aus dem Kessel. Der war bis zum Bersten gefüllt. Aber immerhin verließen jetzt die ersten Männer beseelt den Schuppen. Die Frauen konnten sich jedoch nicht von Macandal trennen. Und er machte keine Anstalten, sie wegzuschicken. Im Gegenteil, er begann mit der Auswahl …
Jefe konnte kaum fassen, dass der Geist tatsächlich drei der schönsten jungen Mädchen erwählte, bevor er die anderen entließ.
»In diesen Frauen sind die Geister der Insel!«, erklärte er. »Die Göttinnen der Erde, die sich mit dem Gott des Krieges vereinigen müssen, um uns den Sieg zu schenken.«
Er tanzte mit den Mädchen, während die anderen Sklaven, einige beglückt und überzeugt, andere befremdet, ins Freie strömten. Aber bevor er sich mit den Frauen einschließen konnte,meldete sich Mireille. Jefe hatte sie in den letzten Monaten oft für ihre Geduld bewundert, nun sah er, dass auch ihr Gleichmut Grenzen hatte.
»François, das kann nicht sein!« Die kleine, füllige Frau baute sich vor ihrem Gatten auf und schüttelte den Kopf. »Wir sind tief in Feindesland, du willst heute Nacht den größten, den entscheidenden Schlag gegen die Sklavenhalter führen, und jetzt hast du nichts anderes im Kopf, als dich mit der nächsten ›Göttin‹ zu vereinigen? Denkst du denn gar nicht an diese Mädchen? Sie müssen zurück auf ihre Plantage, der Gottesdienst ist wahrscheinlich längst zu Ende, und sie sehen nicht aus wie Feldsklavinnen. Also haben sie heute Abend nicht frei. Ihre Herren erwarten sie. Wenn du sie hier noch länger aufhältst, bringst du sie in Gefahr.«
»Das egal!«, rief eines der Mädchen. »Gern sterben für Messias! Gern geben alles!« Es fiel vor Macandal auf die Knie. Ein zweites tat es ihr nach.
Macandal lächelte den beiden zu und machte Anstalten, ihnen aufzuhelfen, Mireille ließ sich jedoch nicht einschüchtern.
»Das ist dumm! Denkt ihr gar nicht daran, dass ihr nicht die Einzigen wäret, die für ihn stürben? Wenn sie euch fassen und verhören – ihr verratet uns doch nach dem dritten Peitschenschlag!« Sie wandte sich von den jetzt ängstlich blickenden Mädchen ab und schob sich zwischen sie und ihren Mann. »Du lässt diese dummen Dinger jetzt gehen, François, und hoffst, dass sie ungeschoren heimkommen. Wenn alles gut geht, kannst du später noch mal herkommen und sie alle segnen. Irgendwann, wenn wir gewonnen haben. Aber nicht jetzt! Verschwindet, Mädchen – und betet zu allen Göttern und Göttinnen, dass euch niemand sieht!«
Die jungen Frauen warfen scheue Blicke auf Macandal. Der Geist von Hispaniola stand wie ein getadelter Schuljunge vor seiner Gattin und rang sichtlich um Haltung.
»Sie hat recht«, gab er schließlich zu. »Die Zeit läuft uns davon, meine Kinder. Also geht und erfüllt eure Aufgabe, wie ich die meine erfülle!« Er hob die
Weitere Kostenlose Bücher