Die Insel der roten Mangroven
befürchtete.
»Vielleicht nicht gleich auf Nouveau Brissac, die Schwarzen sind da ja ganz wild auf ihr großes Fest. Aber insgesamt … Für Macandal wäre das eine gute Zeit, um zuzuschlagen. Und wir sind in diesen Tagen … auf wie vielen Plantagen eingeladen, Nora? Am liebsten würde ich eine Magenverstimmung vortäuschen und mir nur von Sabina Haferschleim servieren lassen.«
Das würde natürlich nicht gehen, Nora dachte jedoch schondaran, sich wenigstens ein oder zwei der Festlichkeiten durch vorgetäuschtes Unwohlsein zu entziehen. Vielleicht konnte sie stattdessen mit Victor Sprechstunde in den Sklavenquartieren halten und die Stimmung zwischen Herren und Dienern damit ein wenig verbessern.
Die Fahrt jedenfalls versuchte sie zu genießen – zumal auch das Wetter es gut meinte. Natürlich war es warm wie überall in der Karibik, aber um diese Jahreszeit war immer mit Regen zu rechnen, und das blieb den Reisenden an diesem Tag erspart. Besonders die Diener, deren Wagen kein Verdeck hatte, freuten sich darüber, für Victor allerdings entpuppte es sich als kein reiner Glücksfall. Seine Mutter schaute höchst indigniert, als er die Kutsche mit seiner Familie selbst vorfuhr – und das auch noch gleichzeitig mit den Prachtwagen weiterer Gäste, die zum Dinner geladen waren. Angesichts des schönen Wetters hatte Louise Dufresne sie vor dem Haus erwartet.
Die anderen Gäste, Monsieur und Madame Saussure, entstiegen natürlich einer Chaise mit livriertem Kutscher, ein ebenso förmlich bekleideter kleiner Page öffnete ihnen den Fond. Die beiden ließen sich selbstverständlich nichts anmerken, wirkten allerdings höchst befremdet von Victors Auftreten – und erst recht von seinem Aufzug. Der junge Arzt hatte sich für die Fahrt leger gekleidet – er trug wie sein Schwiegervater Breeches und Stiefel anstelle der Kniehosen und Schnallenschuhe.
»Der englische Stil?«, bemerkte Monsieur Saussure mit Blick auf die Ankömmlinge und fuhr wie prüfend über seine gepuderte Perücke. »Es soll ja bequemer sein, aber ob sich das durchsetzt?«
»Mein Sohn wird sich gleich angemessen kleiden«, bemerkte Louise Dufresne eisig und duldete Victors und Deirdres Begrüßungskuss auf ihre gepuderte Wange. »Und meine Schwiegertochter natürlich auch.«
Deirdres leichtes Sommerkleid, für das die junge Frau sichkaum schnüren musste, fand ebenso wenig Gnade vor ihrem gestrengen Blick wie ihr nur locker im Nacken zusammengebundenes Haar.
Deirdre lächelte Amali zu, die ihr selbstverständlich ins Haus folgte, während die anderen Schwarzen darauf warteten, dass Louise Dufresne ihnen ein Quartier anweisen ließ.
»Da siehst du’s. Wenn du mich nicht frisierst, bin ich verloren …«
Da sich weiter niemand um sie kümmerte, lenkte Leon seinen Wagen schließlich einfach zum Sklavenquartier. Natürlich nicht, ohne das Gepäck seiner Herrschaft vorher auszuladen. Sein Versuch, es auch gleich ins Haus zu tragen, wurde allerdings von einem der Hausdiener vereitelt.
»Keine Fremde in Haus, Befehl von Mèz«, entschuldigte sich der Mann.
Leon runzelte die Stirn. »Fremde? Ich? He, ich bin Leon! Ich hier geboren, Sohn von Mathilde … Was du haben, Mann?«
Er wunderte sich, dass der Hausdiener verschlossen blieb, doch in den nächsten Stunden sollte ihn das Verhalten seiner Freunde noch oft befremden. Natürlich freute sich seine Mutter, ihn zu sehen, und auch Sabina wurde von ihren Kindern stürmisch willkommen geheißen. Aber das laute Willkommen, das er im Sklavenquartier erwartet hatte – immerhin war er hier geboren und obendrein als Trommler eingeladen worden –, blieb aus. Überhaupt schien eine Atmosphäre der Anspannung über dem Sklavenquartier zu liegen. Leon und Sabina fühlten sich wie Eindringlinge, als man Victors Schwarzen auch noch die abgelegenste Hütte zum gemeinsamen Gebrauch zuwies. Eigentlich hatten sie erwartet, bei ihren Familien untergebracht zu werden, aber Patrick, der Majordomus, der es ebenfalls an Herzlichkeit missen ließ, teilte ihnen die Unterkunft am äußersten Rand des Dorfes zu.
»Wir krank oder so, dass nicht uns wollen haben?«, fragte Leon verwirrt, als er sich erstaunlich schnell allein mit Bonnie und den Kindern dort wiederfand. All seine Freunde und Familienmitglieder schienen etwas anderes zu tun zu haben, als mit ihm zu plaudern oder Bonnie kennenzulernen. »Was komisch mit uns?«
»Nicht mit uns, eher mit den anderen«, gab Bonnie vage zurück.
Es war verrückt, aber
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