Die Insel der roten Mangroven
Wissen – und nahm ihr damit jede Hoffnung, ihrem Leben bei Dayton jemals entkommen zu können. Sie hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt, sich in den Bauch irgendeines der Schiffe zu schleichen und Grand Cayman als blinde Passagierin zu verlassen. Das könnte gelingen, die schwarzen Hafenarbeiter würden sie sichernicht verraten. Und verhungern würde sie auch nicht zwischen all dem Proviant. Aber was passierte, wenn das Schiff anlegte? Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde man sie entdecken, wahrscheinlich Geld für die Schiffspassage fordern und sie an das nächste Bordell verhökern. Und auch, wenn sie ungesehen entkommen könnte, bliebe ihr nur die Arbeit als Prostituierte.
Bonnie schüttelte sich. Nein, dann blieb sie lieber bei Dayton. Der verlangte zumindest nicht von ihr, dass sie lächelte. Im Gegenteil, es schien ihn zu erregen, wenn sie ihren Abscheu zeigte. Er nötigte sie gern.
Jetzt war ihr Weg jedoch frei zu ihrem Abenteuer mit Jefe. Sie hatte sogar noch ausreichend Zeit, vorher im Meer zu baden. Bonnie tauchte in das erfrischende Wasser und plantschte darin herum. Sie konnte nicht schwimmen, obwohl Jefe immer wieder angeboten hatte, es ihr beizubringen. Sie hatte jedoch nie gewagt, sich vor ihm auszuziehen, er sollte nicht sehen, wie dürr sie war – und erst recht nicht, wie viele Narben Daytons Misshandlungen auf ihrem Körper hinterlassen hatten. Bonnie gab es vor sich selbst nicht zu, aber sie wünschte sich, in Jefes Augen schön zu sein.
Nun wusch sie sich in den Wellen, fühlte sich anschließend sauber und erfrischt und schlüpfte nur ungern wieder in ihr einziges verschwitztes blaues Kleid. Dayton hatte es bei einem Altkleiderhändler erstanden, nachdem ihr altes so abgetragen gewesen war, dass es ihr fast vom Körper fiel. Bonnie hatte damals auf einen roten Rock und eine Bluse gehofft, wie Máanu und die meisten der Kreolinnen sie trugen. Sie hätte darin sicher erwachsener ausgesehen, während das Kleid, das sie jetzt besaß, richtig kindlich wirkte. Rock und Bluse waren Dayton allerdings zu teuer gewesen.
Bonnie hockte sich schließlich in ihren Verschlag und blickte aufs Meer hinaus, während sie auf Jefe wartete. Die Schönheit des weißen Strandes, an den sich das tiefe Grün des Urwaldsherantastete, berührte sie allerdings nicht. Wenn Bonnie an das Meer dachte, dann lediglich als eine Mauer rund um ihr Gefängnis, die sie für ihr Leben gern überwunden hätte, wenn es nur den Schatten einer Chance dazu gegeben hätte. Wie so oft träumte sie sich auch in dieser Nacht fort von Grand Cayman, ohne sich wirklich vorstellen zu können, wie es anderswo war. Immer jedoch war Jefe Bestandteil dieser Fantasien. Manchmal stellte sie sich vor, für ihn den Haushalt zu führen und zu kochen, wie sie es jetzt für ihren Backra tat. Er würde keine Tiere vor ihrer Haustür schlachten, und ganz sicher würde er Bonnie nicht schlagen, sondern eher … na ja … ab und zu küssen. Ganz sanft, auf die Wange vielleicht … Bonnie hegte unschuldige Träume.
Natürlich gelang es Jefe nicht, sich lautlos an Bonnie heranzuschleichen. Aber sie war trotzdem überrascht, zumindest über seinen Anhang. Jefe führte ein Eselchen, das einen schwer beladenen Leiterwagen zog. Das Tier gehörte einem alten Mulatten, der am anderen Ende der Siedlung ein paar Felder bearbeitete und Máanu das Gemüse für den Laden lieferte. Bonnie spähte auf den Wagen und erkannte unter anderem die Fässer mit dem Pökelfleisch, die sie zuvor so mühsam zum Hafen geschafft hatte.
»Konntest du die nicht gleich hier abholen?«, fragte sie unwillig. »Ich hab mich so damit abgemüht!«
Jefe schüttelte den Kopf. »Nein! Natürlich nicht!«, sagte er wichtigtuerisch. »Dann hätte dein Backra noch Wind davon gekriegt, wo wir sie hinliefern. Das hier darf keiner wissen, habe ich dir doch gesagt. Du hast geschworen …«
»Ja«, sagte Bonnie, bemüht, nicht zu ungehalten zu klingen. Glaubte Jefe wirklich, es könnte jedem im Ort verborgen bleiben, wenn er einen Esel lieh und einen Leiterwagen belud, um ihn dann durch die halbe Siedlung zu fahren? Und dass Dayton sich nichts dabei gedacht hatte, als Máanu plötzlich ihreSchulden begleichen konnte? Langsam wurde ihre Neugierde übermächtig. Was für ein Spiel spielten Máanu und Jefe, das zumindest von der Halbwelt Grand Caymans geflissentlich übersehen wurde?
KAPITEL 7
B onnie folgte Jefe und seinem Eselskarren zunächst ein Stück am Strand entlang und dann in
Weitere Kostenlose Bücher