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Die Insel der roten Mangroven

Die Insel der roten Mangroven

Titel: Die Insel der roten Mangroven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Pirat werden?«
    Jefe nickte stolz. »Genau das!«, verkündete er. »Ich hab’s satt, für die weißen Gauner im Hafen Handlangerdienste zu verrichten. Ich hab’s satt, mich zu ducken, wenn ein Backra vorbeikommt. Ich will frei sein! Ein Krieger wie mein Vater …«
    Bonnie schoss durch den Kopf, dass Jefe eigentlich niemals Handlangerdienste verrichtete und sich erst recht niemals duckte. Doch eigentlich konnte sie nur daran denken, dass er fortwollte. Jefe wollte gehen, wollte sie allein lassen … Bonnie biss sich auf die Lippen.
    »Und sie nehmen dich einfach so mit?«, fragte sie heiser.
    »Na ja, ›einfach so‹ nicht«, erklärte Jefe. »Ich musste ihnenschon ein bisschen was liefern …« Stolz sah er hinunter auf seine künftigen Kumpane.
    »Die Waren?«, wunderte sich Bonnie und warf einen Blick auf den Eselskarren. »Aber die haben sie doch bezahlt.«
    Woher sonst sollte Máanu das Geld gehabt haben, das sie Dayton gegeben hatte? Und sie war sicher auch nicht damit einverstanden, dass Jefe mit den Freibeutern absegelte. Es war unwahrscheinlich, dass sie ihn dazu mit einer Art Mitgift ausstattete.
    »Doch nicht die Waren, du Dummerchen!« Jefe schüttelte nachsichtig den Kopf. »Die zahlen sie immer, das ist Ehrensache, Captain Seegall zieht keinen übern Tisch. Aber in diesen Kreisen bezahlt man nicht mit Geld. Da zahlt man mit Wissen. Den Sanchez, den hat es gestern ganz brennend interessiert, dass da ein paar Segler voll beladen nach England aufgebrochen sind. Die Piraten laden jetzt noch Proviant, und dann geht’s los, morgen Nacht, ihnen nach! Da ist eine ordentliche Prise zu machen …« Er betonte das Wort Prise – seine erste Vokabel aus dem Sprachschatz der Piraten.
    Bonnie wurde jetzt einiges klar. Sanchez war wohl der fein gekleidete Mulatte gewesen, der sich mit Jefe in der Schenke unterhalten hatte. Máanus Sohn hatte ihm von den Schiffen erzählt. Etwas in Bonnie begehrte dagegen auf, dass er ihre Kapitäne und die Besatzungen eiskalt ans Messer geliefert hatte. Aber andererseits – es war kein Geheimnis, dass die Schiffe auf Barbados Zuckerrohr geladen hatten, nachdem sie Sklaven aus Afrika auf die Insel gebracht hatten. Wenn die Besatzung nun selbst auf irgendeinem Sklavenmarkt landete und ihre Ladung in der Hand der Freibeuter, so geschah es den Kerlen recht!
    Bonnie und Jefe hatten inzwischen mehr als die Hälfte des Uferweges hinuntergeschafft. Die Piraten mussten den Eselskarren gleich bemerken. Bonnies Gedanken arbeiteten fieberhaft. In ihrem Gehirn manifestierte sich eben die kühnste Idee,die sie je gehabt hatte, doch sie würde noch etwas Zeit brauchen, um sie weiter auszubauen. Entschlossen blieb sie stehen.
    »Ich komme nicht mit, Jefe«, erklärte sie. »Ich … ich verstecke mich hier und schaue es mir von Weitem an, wie du auslädst.«
    Jefe blickte sie fast etwas beleidigt an. »Wirklich? Aber ich dachte … ich dachte, es würde dich freuen, die Männer alle kennenzulernen. Es sind ’n paar wahre Originale darunter! Der Koch, das ist ’n Einbeiniger. Er sagt, er hat das Bein vor Charleston verloren. Und dann, als sie die ganzen anderen Freibeuter gehenkt haben, ist er dem Tod so gerade noch von der Schippe gesprungen …«
    Bonnie unterbrach ihn. »Jefe, ich bin ein Mädchen«, sagte sie unwillig. »Und ein anständiges Mädchen freut sich gar nicht darüber, eine ganze Horde Männer kennenzulernen, die wahrscheinlich seit drei Monaten keine Frau gesehen haben …«
    Jefe lachte. »Komm, Bonnie, das sind achtbare Männer …«, verteidigte er seine neuen Freunde.
    »Das sind Piraten, Jefe!« Bonnie musste sich bemühen, die Stimme zu dämpfen. Sie schwankte zwischen Besorgnis, Belustigung und Anspannung. Diese Idee … »Wenn du sie achtbar nennen würdest, wären sie wahrscheinlich beleidigt.«
    Jefe grinste. »Na ja, nicht in dem Sinne achtbar«, schränkte er ein. »Jedoch … hm … rechtschaffen. Und du bist mit mir da, dir würden sie nichts tun.«
    Bonnie bezweifelte das. Aber eigentlich fürchtete sie sich weniger vor einer Vergewaltigung als davor, den Männern vor der Zeit ihr Gesicht zu zeigen …
    Jefes Miene verfinsterte sich auf einmal. »Oder … verabscheust du sie? Ist das der Grund, weshalb du nicht mit ihnen reden willst? Verurteilst du sie, für das, was sie tun?«
    Bonnie fragte sich, wie er es schaffte, seit nunmehr vier Jahren fast jeden Tag mit ihr zusammen zu sein und sie doch so wenig zu kennen.
    »Nein«, sagte sie leise.

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