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Die Insel der roten Mangroven

Die Insel der roten Mangroven

Titel: Die Insel der roten Mangroven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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und auch nicht noch ein Reitkleid. In der Stadt wirst du praktische Nachmittagskleider in gedeckten Farben brauchen. Hüte hast du ebenfalls vorerst genug!«
    Deirdre fügte sich. Allerdings konnte sie sich kaum vorstellen, ihre Tage demnächst damit zu verbringen, mit den Frauen der anderen Honoratioren der Stadt Tee zu trinken und über Zuckerpreise zu reden, statt auszureiten, gemeinsam mit den schwarzen Mädchen nackt im Weiher zu baden oder gar heimlich im Meer zu schwimmen. Natürlich würde sie ihr Pferd mit nach Saint-Domingue nehmen, sicher würden sich auch dort wunderschöne Strände finden. Doch keiner davon würde zu ihrer eigenen Plantage gehören. Sie konnte sich nicht so sicher fühlen und nicht so unbefangen allein mit ihrer Stute umherstreifen wie auf Jamaika. So nutzte sie die Zeit, die ihr noch auf Cascarilla Gardens blieb, gern zu langen Ausflügen, auch das nicht mit uneingeschränkter Billigung ihrer Mutter.
    »Deirdre, wir haben Miss Hollander extra eingeladen, damit sie dein Französisch perfektioniert. Du wirst diese Sprachedemnächst jeden Tag rund um die Uhr sprechen müssen – dafür reicht bei weitem nicht aus, was du bisher kannst. Also bleib hier und mach Konversation …«
    Deirdre verzog allerdings allein bei dem Gedanken an den Unterricht mit Miss Hollander den Mund. Nicht, dass sie kein Französisch lernen wollte. Im Gegenteil, sie brannte darauf, sich in Victors Sprache zu verbessern, und war unbändig stolz, als es ihr gelang, ihren ersten Brief an ihn auf Französisch zu verfassen. Aber mit ihrer Lehrerin Miss Hollander hatte sie so gar nichts gemeinsam, die Konversationsstunden waren zum Gähnen langweilig. Miss Hollander, eine fünfzigjährige, hagere Dame mit stets verkniffenem Gesichtsausdruck, stammte aus einer verarmten englischen Adelsfamilie. Sie hatte eine sehr sorgfältige Erziehung genossen, war jedoch die dritte Tochter ihrer Eltern. Nachdem ihre Schwestern aus dem Haus waren, blieb für ihre Mitgift nichts mehr übrig. Miss Hollander ging also als Gouvernante in Stellung und ließ sich schließlich von einem der neureichen jamaikanischen Pflanzer, die sich in England Adelstitel erkauften, als Hauslehrerin beschäftigen.
    Leider währte ihre Anstellung auf seiner großen Plantage bei Spanish Town nicht lange. Man munkelte über eine Liebesaffäre mit dem ältesten Sohn, die von dessen Eltern rasch beendet wurde. Neue englische Adlige waren nicht minder dünkelhaft als alte, eine Ehe mit der Hauslehrerin seiner Schwestern kam für den Erben nicht infrage. Miss Hollander verlor ihre Stellung, und damit endete für sie das verhältnismäßig angenehme Leben in einem großen Haushalt mit Dienstboten und anderem Luxus. Eine Schiffspassage zurück nach England konnte sie nicht bezahlen, und so fristete sie denn seit mittlerweile über zwanzig Jahren ihr Leben in einer bescheidenen Wohnung in Kingston. Die ehemalige Gouvernante unterrichtete die Kinder der Pflanzer, die über Stadthäuser verfügten, stundenweise in Französisch, brachte den Mädchen bei, das Spinett annehmbarzu spielen, und gab Benimmunterricht. In so manchen neureichen Familien hatten den auch die Eltern bitter nötig, aber falls Miss Hollander da aushalf, sprach sie zumindest nicht darüber. Sie galt als diskret und fähig, weshalb Nora sie nun angeheuert hatte, ihrer Tochter nicht nur ein perfektes Französisch beizubringen, sondern vielleicht auch den letzten gesellschaftlichen Schliff zu geben. Ein Auftrag, der Miss Hollander einerseits glücklich machte, da er mit einem mehrwöchigen Aufenthalt auf Cascarilla Gardens verbunden war, andererseits brachte er sie oft an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.
    Die temperamentvolle Deirdre überforderte die Hauslehrerin ebenso wie ihre zwei jüngeren Brüder, die Nora gleich mit unterrichten ließ. Beide hatten nicht die geringste Lust auf Französisch und Benimmschulung. Wann immer möglich, entzogen sie sich den Stunden, und Deirdre galoppierte oft genug hinter ihnen her, wenn sie dem Unterricht auf ihren Ponys entflohen.
    Miss Hollander mochte sich gar nicht ausmalen, was die Geschwister bei ihren Streifzügen über die Plantage so anstellten – im Grunde tat ihr der künftige Ehemann ihrer unwilligen Schülerin jetzt schon leid. Dazu kam das freizügige Verhalten der Schwarzen. Die Hauslehrerin legte großen Wert darauf, wenigstens von den Sklaven mit Respekt behandelt zu werden, wenn sie gesellschaftlich sonst schon so wenig geachtet wurde. Sie

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