Die Insel der roten Mangroven
verängstigt zu Boden, mehrere sprangen über Bord. Verteidigen würden sie sich bestimmt nicht mehr. Überall auf dem Deck der Morning Star verebbten die Kämpfe. Auf der Pride of the Sea war längst Ruhe eingekehrt.
Bonnie sah, wie Sanchez Jefe anerkennend auf den Rücken klopfte, bevor er sich von den Gefangenen ab- und seinen Leuten zuwandte. Kapitän und Quartiermeister zogen Bilanz. Es gab zwei leichter und einen schwerer Verletzten unter den Piraten, jedoch keine Toten. Der Kapitän vermerkte das zufriedenund begann dann, Anweisungen zu geben. Die Gefangenen wurden gebunden, zum Teil aber auch nur entwaffnet und auf Ehrenwort freigesetzt. Schließlich beabsichtigten die Freibeuter nicht, alle jetzt anstehende Arbeit allein zu tun. Die »Offiziere« der Mermaid waren schnell übereingekommen, die Waren der Morning Star auf der Pride of the Sea und der Mermaid zu verteilen. Eine Notmannschaft, bestehend aus Piraten und Matrosen, würde die Pride of the Sea dann im Gefolge der Mermaid nach Santo Domingo segeln, in eine versteckt liegende Bucht, die Seegall kannte. Die spanische Kolonie war im Niedergang begriffen, und da nahmen es viele Kaufleute mit der Ehre nicht allzu genau. Sie würden den Freibeutern die Baumwolle abnehmen und ihnen auch einen annehmbaren Preis für das Schiff zahlen. Zumal, wenn es ein englisches Schiff war, kannten sie keine Gewissensbisse. In englischen Kolonien wurde die Beute von Kaperfahrten gegen spanische Schiffe ja ebenfalls zu Geld gemacht.
Als die Nacht kam, waren die Waren jedenfalls verteilt – und Twinkle machte sich einen Spaß daraus, noch zwei letzte Kugeln auf die Morning Star abzufeuern, um das Schiff damit zu versenken. Bonnie schob sich dabei wieder an seine Seite. Sie beobachtete, wie er den Richtkeil bediente, um das Rohr der Kanone um die Schildzapfen zu drehen und damit den Neigungswinkel der Waffe zu verändern. Jetzt, da er Zeit genug hatte, vermochte er sehr genau zu zielen – er war jedoch selbst unter Gefechtsbedingungen unglaublich sicher gewesen.
»Vielleicht … vielleicht noch ein bisschen tiefer?«, regte Bonnie schüchtern an, als Twinkle die zweite Kugel geladen hatte. Sie begann zu begreifen, wie die Sache funktionierte.
Der Kanonier blickte Bonnie prüfend an und verzog das Gesicht. »Teufel noch mal, Junge, willst du mir zeigen, wie ich meine Lady richtig justiere?«, fragte er in strengem Ton.
Bonnie zog sich sofort zurück. »Nein … nein … natürlich nicht. Nur …«
»… nur, dass wir so noch sicherer treffen würden!«, bemerkte Twinkle mit breitem Grinsen. »Bist ’n Naturtalent, Kleiner! Und dazu der Adlerblick … Ja, ich hab’s schon gehört, Bobbieboy, Sanchez war hell begeistert von dir. Also: Willst du Kanonier werden?«
Bonnie schaute den Mann ungläubig an. War das wirklich so einfach? War da jemand bereit, sein Wissen ganz ohne Vorbehalte und Gegenleistung mit ihr zu teilen? Als Kanonier konnte sie ihren Beitrag im Kampf leisten, auch wenn sie kleiner und schwächer war als die anderen …
Sie musste sich räuspern, bevor sie antwortete. »Wenn du mir zeigst, wie’s geht … Ich … ich würd mein Bestes tun!«, sagte sie schließlich.
Bonnie war von Stolz erfüllt, als Twinkle ihr erneut zugrinste, und nippte selig an dem winzigen Glas Rum, das Captain Seegall heute für jeden hatte ausschenken lassen. Allen Alkoholverboten auf dem Schiff zum Trotz.
»Auf Santo Domingo feiern wir richtig«, hatte er versprochen. »Aber Teufel auch: Zwei Schiffe an einem Tag, das verlangt einen Drink! Und einen Toast … Auf den Knaben, dem wir die Prise letztlich verdanken. Komm her, Little Caesar, lass dich hochleben!«
Er hob sein Glas.
Jefe trat stolz vor, doch jetzt mischte Sanchez sich ein.
»Was hör ich da? Little Caesar? Knabe? Captain, der Mann hat mir vorhin den Arsch gerettet! Der ist kein Kleiner mehr!«
Auch Sanchez hob sein Glas. »Auf den neuen Big Black Caesar!«, rief er und klopfte Jefe auf die Schultern. »Du hast deinem Vorbild heute schon Ehre gemacht. Und ich bin sicher, da wird noch einiges kommen!«
KAPITEL 2
D eirdre Fortnam wurde die Zeit lang, die ihr Verlobter allein in Cap-Français weilte. Dabei hatte sie eigentlich genug zu tun. Sie stellte ihre Aussteuer zusammen, wobei sie mitunter mit Nora aneinandergeriet. Ihre Mutter war der Auffassung, eine Arztfrau solle schlichter auftreten als die Tochter einer großen Plantage.
»Nicht noch ein Festkleid mit noch aufwendigerem Reifrock, Dede,
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