Die Insel der roten Mangroven
François Macandal und seine Pläne das einzige Gesprächsthema.
»Lenormand de Macy hat den Kerl damals gekauft«, führte Jacques Dufresne denn auch gleich beim Dinner am Freitagabend aus. De Macy gehörte eine der größten Plantagen von Hispaniola, zwanzig Meilen entfernt von Cap-Français. »Auf dem Markt, praktisch direkt vom Schiff. Da war er noch ein halbes Kind, um die zwölf Jahre alt. Sie haben ihn Zuckerrohr pressen lassen … und irgendwie ist er dabei wohl in die Presse geraten, jedenfalls hat er einen Arm verloren …«
»Ein Zwölfjähriger?«, erregte sich Deirdre. »Aber der konnte die Presse doch noch gar nicht bedienen!«
»Vielleicht war er da auch schon älter«, unterbrach sie Jacques, sichtlich verärgert über den Einwand. »Das tut ja auch nichts zur Sache. Danach jedenfalls setzten sie ihn als Viehhirten ein …«
»Du solltest vielleicht noch erwähnen, Vater, dass der Knabe nicht dumm war«, bemerkte Gérôme, während er sich geziert wie stets den Mund wischte. »Er hat sehr schnell Französisch gelernt und soll es fließend sprechen, nicht nur Patois. Wahrscheinlich wollte ihn der alte Lenormand deshalb unter Kontrolle halten. An der Presse hat man die Kerle besser unter Aufsicht als auf den Feldern …«
»Ich hab gehört, er spreche Arabisch …«, fügte Gisbert hinzu. »Jedenfalls erzählt man sich das in Port-au-Prince.« Gisbert war in der Stadt gewesen, um die Tabakbörse zu besuchen. »Mir erscheint das allerdings seltsam.«
»Das ist gar nicht so seltsam«, warf Deirdre ein und hatte dieses Mal die Aufmerksamkeit der gesamten Tischgesellschaft. Sie errötete unter der brav aufgetragenen Schminke, als die Dufresnes und ihre Gäste – erneut waren zwei Ehepaare von anderen Plantagen geladen – ihr plötzlich die Köpfe zuwandten. »Wahrscheinlich ist er Muselmane. Davon haben wir auch welche auf der Plantage … sie …«
»Auf Saint-Domingue wird jeder Sklave christlich getauft«, bemerkte Madame Dufresne indigniert.
Deirdre zuckte die Schultern. »Nun, auf Jamaika nicht«, führte sie aus und fand rasch zu ihrer Gelassenheit zurück. Sie hätte nicht davon anfangen sollen, aber jetzt musste sie sich wohl oder übel dazu bekennen, dass auf Cascarilla Gardens Religionsfreiheit herrschte. »Wie auch immer … In Afrika sind viele Schwarze Muselmanen. Und sie beten auf Arabisch zu ihrem Gott. Zumindest ein bisschen von der Sprache können sie deshalb alle, auch schon die Kinder. Wenn dieser Macandal Sprachen leicht lernt und in Afrika gute Lehrer hatte, dann wird er mit zwölf Jahren schon Arabisch gekonnt haben.«
»Das ist zumindest eine Erklärung«, bemerkte Victor. »Aber sprich weiter, Vater. Der junge Mann verlor also einen Arm, womöglich durch Fahrlässigkeit – das dürfte ihn gegen seine weiße Herrschaft aufgebracht haben. Und dann …«
»Dann war er ja eigentlich zu nichts mehr nütze«, fuhr Jacques Dufresne fort. »Lenormand setzte ihn also als Viehhirten ein, bewachte ihn praktisch gar nicht mehr, und prompt war er weg! Und wie’s aussieht, betätigt er sich jetzt als Aufrührer.«
»Er soll in den Bergen sein«, wiederholte Victor widerwillig die Aussagen der Sklavin Assam. »Bei den Maroons. Und wie es aussieht, gelingt es ihm, unter denen eine gewisse Einigkeit herzustellen. Das macht sie gefährlich, wie man aus anderen Kolonien weiß …«
Er brauchte das nicht auszuführen. Zumindest in grobenZügen kannten alle Anwesenden die Geschichte von Nanny Town und anderen Maroon-Ansiedlungen auf Jamaika.
Jacques Dufresne winkte mit einer Handbewegung ab. »Ach was, gefährlich! Die Nester räuchern wir jetzt aus, es werden bereits Expeditionen zusammengestellt – wir rekrutieren eine halbe Armee, das sage ich euch! Der Kerl hat die längste Zeit Unfrieden gestiftet. Jetzt kriegen wir ihn.«
Deirdre hätte beinahe gelacht. In Jamaika war oft von den Strafexpeditionen gegen Granny Nanny und ihre Brüder Cudjoe, Quao und Accompong die Rede gewesen. Die meisten der beteiligten Pflanzer erinnerten sich ganz gern daran, wie sie auf der Suche nach den Aufständischen in die Berge geritten waren. Schließlich war nie jemandem etwas passiert, und Rum und Schnaps waren in Strömen geflossen, während die Reiter gut gelaunt die Blue Mountains durchstreift hatten. Einen Schwarzen hatte man dabei aber so gut wie nie zu Gesicht bekommen, und vom Ausräuchern der Maroon-Siedlungen war man weit entfernt gewesen. Doug Fortnam war allerdings davon
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