Die Insel der roten Mangroven
überzeugt, dass die Schwarzen jeden ihrer Schritte überwacht hatten. Man hatte die Reiter beobachtet, doch ziehen lassen, wahrscheinlich, damit der Krieg nicht eskalierte. Granny Nanny hatte stets sehr vorsichtig agiert.
Macandal mochte aus anderem Holz geschnitzt sein. Deirdre war froh, dass niemand Victor aufforderte, sich einer solchen Strafexpedition anzuschließen.
In der nächsten Zeit zogen immer wieder Gendarmerieeinheiten, Armeeeinheiten oder Freiwilligenkommandos in die Berge, aber, wie Deirdre erwartet hatte, ohne jeden Erfolg. Einige davon kamen wieder, ohne einen Maroon gesehen zu haben, andere gar nicht. Dabei fiel auf, dass es niemals einzelne Überlebende gab. Bei Feindberührung wurden die Patrouillen immer vollständig aufgerieben. Und es passierten weitere Giftanschläge. Macandalschien seine Drohung wahr zu machen – irgendwie gelang es ihm, den Hass der Haussklaven auf ihre Herren so weit zu schüren, dass sie bereit waren, ganze Familien mit Gift auszulöschen. Das Muster war immer wieder das Gleiche: Die Mörder verschwanden nach der Tat, und offenbar wusste keiner der anderen Sklaven, wohin sie flohen. Wenn es weitere Eingeweihte gab, so verrieten die zumindest nichts, man ging natürlich auch nicht so weit, ganze Belegschaften von Haussklaven zu Tode zu foltern. Gefasst wurden die Mörder so gut wie nie – und als es doch noch einmal gelang, machte der Mann seinem Leben selbst durch Gift ein Ende. Schnell und verhältnismäßig schmerzlos, was die Wut der Pflanzer auf Macandal weiter auflodern ließ. Die Weißen waren langsam und unter Qualen gestorben.
Die Ärzte der Kolonie – selbst wenn sie rechtzeitig gerufen wurden, bevor die Opfer ihr Leben aushauchten – waren machtlos. Victor wurde zwei weitere Male auf eine betroffene Plantage geholt, konnte aber niemanden retten. Überlebende wie Yvette Courbain gab es selten. Die Täter waren meist langjährige Haussklaven, die Vor- und Abneigungen ihrer Herren kannten. Ein Fehler wie der von Assam, die das Gift ebenso gut unter eine Sauce hätte mischen können, die allen Familienangehörigen mundete, unterlief ihnen nicht.
Während auf dem Land immer mehr die Angst umging und zwischen Herren und Sklaven eine Atmosphäre des Misstrauens entstand, verlief das Leben in Cap-Français unbehelligt von Macandals Krieg gegen die Weißen. Vom Gouverneurspalast und den Stadthäusern der reichen Plantagenbesitzer, die natürlich unzählige Hausdiener besaßen, einmal abgesehen, hielten die Bürger hier nur wenige Sklaven. Da die sich obendrein nicht versammeln durften, fand Macandal kein ausreichend großes Publikum für aufrührerische Reden. Der Gerüchteküche zufolge suchte er nachts Plantagen auf und predigte den Schwarzen, diebald eine Art Gott in ihm sahen. Unter den Schwarzen in Cap-Français war er allenfalls eine Legende, wobei ihre Einstellung zu seinen Taten differierte. Hausdiener wie Amali und Sabina, die ein gutes Leben hatten und ihren Herren treu ergeben waren, zeigten sich genauso angewidert von seinem Vorgehen wie die Weißen.
»Es ist nicht recht, Leute zu vergiften, egal, was sie gemacht haben!«, hielt Amali ihrem Mann Lennie vor, der eher etwas unentschieden wirkte. Sie hatten gerade wieder einmal von einem Giftanschlag gehört. Dieses Mal waren vier kleine Kinder mit ihren Eltern gestorben. »Manche Backras sind sicher böse und behandeln ihre Neger schlecht. Aber vergiften …«
Deirdre, die das Gespräch mithörte, war beunruhigt, weil Lennie die Morde offenbar gutgeheißen oder die Täter zumindest verteidigt hatte. Doch inzwischen hatten all ihre Sklaven Freibriefe. Mit einem Anschlag von Lennies Seite war sicher nicht zu rechnen.
Sie selbst machte sich auch keine Sorgen um Leib und Leben, zumindest nicht in Cap-Français. Und auf Nouveau Brissac hatte Jacques Dufresne ein eigentlich unfehlbares Sicherungssystem eingeführt: Jeder Diener, der servierte, musste einen Bissen der Nahrung vorkosten, die er seinem Herren vorlegte.
»Das funktioniert so lange, wie sie nicht so weit gehen, sich selbst zu opfern«, gab allerdings Victor zu bedenken. »Wenn dieser Macandal tatsächlich so charismatisch ist, dass er langjährige treue Diener zum Meuchelmord überredet, dann schafft er es auch, sie dahingehend zu manipulieren, mit ihren Herren in den Tod zu gehen. Allerdings würden die Pflanzer dann sicher einem weniger schmerzhaften Tod zum Opfer fallen, Vater. Es gibt verschiedene Gifte, wie wir gesehen haben, und
Weitere Kostenlose Bücher