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Die Insel der roten Mangroven

Die Insel der roten Mangroven

Titel: Die Insel der roten Mangroven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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gewundert, gewöhnlich pflegten ihre Herren nicht die gesamte Vorspeise zu essen. Leider sind Suppenterrine und Teller gleich darauf gespült worden. Es konnten also keine Proben des Giftes entnommen werden.«
    »Über den Ablauf besteht wohl kein Zweifel«, vermerkte Victor, als er am frühen Abend mit Deirdre nach Hause fuhr. »Diese Assam hat ein schnell wirkendes, offenbar geruch- und geschmackloses Gift in die Suppe gegeben und den Rest später weggeschüttet. Die anderen Sklaven wollte sie wohl nicht gefährden. Danach ist sie geflohen, man fahndet jetzt nach ihr.«
    »Warum hat sie nur so etwas Schreckliches getan?«, fragte Deirdre unglücklich.
    Der Mord an den Courbains hatte den Ausflug aufs Land überschattet, der ihr sonst gut gefallen hatte. Am Sonntag hatte sie sich nach der Messe mit ihrer Schwiegermutter unterhalten können. Madame Dufresne war etwas aufgetaut und zuletzt sogar recht freundlich zu ihr gewesen. Über Mode, Musik und die Gesellschaft in Cap-Français konnte man sehr gut mit Louise Dufresne reden. Das Gespräch blieb allerdings oberflächlich. Deirdre hatte das Gefühl, einen recht guten Eindruck gemacht, ihre Schwiegermutter aber nicht wirklich kennengelernt zu haben. Dennoch verbuchte sie ihren ersten Besuch bei den Dufresnes durchaus als Erfolg.
    Victor lachte bitter. »Sie mag ihre Gründe gehabt haben«, sinnierte er. »Viele Sklaven hegen einen Hass auf ihre Herren. Was mich beschäftigt, ist eine ganz andere Frage: Woher hatte sie das Gift?«
    Einige Tage später, Victor war ausnahmsweise einmal früh am Abend mit der Arbeit fertig geworden und hatte es sich schon im Schlafrock mit Deirdre gemütlich gemacht, meldete eine eingeschüchterte Amali einen Gendarmen an der Tür des Arztes. Nachdem Victor mit ihm gesprochen hatte, machte er Anstalten, sich anzuziehen.
    »Ist jemand krank in der Gendarmerie?«, fragte Deirdre verwundert.
    Victor biss sich auf die Lippen. Er wirkte sehr ernst und alles andere als erfreut über die späte Störung. »Sie haben dieses Mädchen gefasst, diese Assam«, sagte er. »Hier in Cap-Français, auf dem Markt im Hafenviertel. Sie … verhören sie seit einigen Stunden …«
    »Und dazu brauchen sie dich?«, erkundigte sich Deirdre verwundert. »Ist sie krank? Sie werden sie doch sowieso hinrichten, oder?«
    Victor nickte grimmig. »Ich soll anscheinend dafür sorgen, dass es noch etwas zum Hinrichten gibt …«, murmelte er, bevor er nach seiner Tasche griff. »Warte nicht auf mich, es wird sicher spät. Oder … oder … warte doch auf mich … ich …«
    Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern küsste Deirdre nur kurz, bevor er aus der Tür eilte, um dem Gendarmen zu folgen.
    Deirdre blieb beunruhigt zurück. Sie war den ganzen Abend rastlos und konnte sich weder auf ein Buch noch eine Handarbeit konzentrieren, bis sie die Haustür endlich hinter Victor ins Schloss fallen hörte. Die junge Frau hatte bereits eine Flasche Wein öffnen lassen, um ihn mit einem Schlaftrunk zu empfangen, doch als Victor nun totenbleich und nur mühsam gefasst eintrat, strebte er gleich dem Wandschrank zu, in dem sie härtere Spirituosen aufbewahrten.
    »Was ist passiert?«, fragte Deirdre alarmiert.
    Sie hatte sich für Victor schön gemacht, bereits ein Negligé angelegt und ihr Haar geöffnet. Aber ihr Mann schien keinen Blick für sie zu haben. Er antwortete auch erst, nachdem er das erste Glas Zuckerrohrschnaps hinuntergestürzt hatte.
    »Es war furchtbar«, sagte er leise und setzte sich mit dem zweiten Glas in einen Sessel. »Sie haben sie gefoltert. Sie hat zuerst nichts sagen wollen, doch schließlich … Dabei hätte jeder geredet, erspar mir die Einzelheiten …«
    »Hat sie denn die Wahrheit gesagt?«
    Deirdre war die Tochter eines Advokaten, und Doug vertrat die Ansicht, dass unter Folter erpresste Geständnisse nicht allzu viel wert waren.
    Victor nickte. »Ich denke schon«, erwiderte er. »Unter diesen Umständen … lügt niemand mehr. Vorher hatte sie den Mord auch nicht geleugnet. Im Gegenteil, sie schien stolz darauf zu sein. Das genügte der Gendarmerie bloß nicht. Die wollten die Hintermänner …«
    »Aber gab es denn ›Hintermänner‹?«
    Deirdre wunderte sich. Es kam in den Kolonien immer wieder vor, dass irgendein verzweifelter Sklave einen Mord an seinen Besitzern oder Aufsehern beging. Dass ein Komplott oder ein Aufstand dahintersteckte, hatte Deirdre allerdings noch nie gehört.
    »Die Gendarmerie hat sich wohl die gleichen

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