Die Insel der roten Mangroven
eine Knochensäge enthielt. Früher hatte der Mann Amputationen mit dem gleichen Werkzeug durchgeführt, mit dem er die Planken zuschnitt.
»Hier steht, man könnte so was nähen«, meinte Jefe unsicher, »mit gewachstem Faden. Doch das trau ich mich nicht …«
Bonnie schien von der Aussicht, von ihm zusammengenäht zu werden, auch nicht sonderlich erbaut zu sein. »Gib einfach Drachenblut drüber und einen Verband!«
Sie stöhnte und wappnete sich gegen den Schmerz. Drachenblut bestand aus dem Harz von Agave und Rattanpalme sowie Granat und Rum. Angeblich sollte es helfen, Wunden zu schließen. Jefe verteilte die Essenz freigebig über Bonnies Verletzung und auch über die kleineren Schnitt- und Platzwunden an ihrem Oberkörper. Dann legte er ungeschickt einen Verband aus Leinenstreifen an.
»Wenn sich das mal nicht entzündet …«, bemerkte er hörbar mutlos.
Jefe war sich im Klaren darüber, dass es der Kunst eines Arztes bedurft hätte, diese Wunde fachkundig zu untersuchen, zu reinigen und dann vielleicht wirklich zu nähen. Aber es gab keinen Mediziner an Bord der Mermaid .
»Gib mir was von der Chinarinde!«, forderte Bonnie. »Das hilft doch gegen Fieber, vielleicht beugt es vor.«
Chinarinde enthielt die Bordapotheke in ausreichendem Maße. Jefe glaubte jedoch nicht, dass sie etwas gegen Wundbrand ausrichtete. Woodall zumindest schrieb nichts darüber. Dennoch verabreichte Jefe Bonnie jetzt ein paar Krümel davon und ließ sie diese mit ein paar kräftigen Schlucken Rum hinunterspülen. Für Verletzte galt das Alkoholverbot an Bord nur eingeschränkt.
»Das wird schon«, murmelte Bonnie, bevor sie erschöpft einschlief. »Lass mich … lass mich bloß nicht allein …«
Jefe wäre jetzt eigentlich gern an Deck gegangen und hätte mit den anderen gefeiert. Sicher hätte sich niemand um Bonnie gekümmert, der Schiffszimmermann hatte Patienten genug. Dann jedoch beschloss er, die Flasche noch einmal für sich zu entkorken, und begoss den hart erkauften Sieg allein neben dem Bett seiner Freundin. Er wachte an ihrem Lager, bis alle Männer in ihren Hängematten lagen und keiner mehr auf den Gedanken kommen konnte, nach Bonnies Wunde zu sehen.
Die optimistische Prognose der jungen Frau bewahrheitete sich dann allerdings nicht. Schon am nächsten Tag erwachte Bonnie mit starken Schmerzen, die Wundränder waren rot entzündet und geschwollen, und obwohl Jefe die Waschung und die Behandlung mit Drachenblut wiederholte, fühlte sich Bonnies Haut schon am Nachmittag heiß und trocken an. In der Nacht begann sie ernstlich zu fiebern.
»Das sieht nicht gut aus«, meinte der Zimmermann, den Jefe am folgenden Morgen doch noch hinzuzog. »Das ist sicher Wundbrand, da können wir höchstens noch versuchen, das faule Fleisch wegzubrennen. Mach den Verband mal ab, dann gucken wir …«
Jefe schüttelte entschlossen den Kopf, auch wenn er den Mann damit brüskierte. Vom Ausbrennen hielt er nichts – zumal nicht auf gut Glück. Und im Absterben begriffen waren die Wundränder auch eigentlich noch nicht, nur geschwollen und entzündet. Auf jeden Fall war er nicht bereit, Bonnie für eine solch zweifelhafte Behandlungsmethode zu verraten. Noch am Tag zuvor hatte sie ihn schließlich angefleht, ihren Körper auf keinen Fall zu entblößen. Lieber wollte sie sterben, denn als Mädchen entlarvt werden. Inzwischen konnte sie allerdings kaum noch Entscheidungen treffen. Sie redete nur noch wirr und war mitunter gar nicht mehr bei Bewusstsein.
Dennoch – Jefe brachte es einfach nicht über sich, jetzt schonaufzugeben. Er würde es noch mit einer der anderen Salben aus der Schiffsapotheke versuchen. Vielleicht mit einer Terpentinsalbe. Die brannte auch, vielleicht wirkte sie ja genauso gut wie das Brenneisen und ätzte das absterbende Fleisch weg?
Jefe begab sich zum Kapitän, um erneut in der Bordapotheke zu stöbern, fand ihn aber nicht gleich. Er musste an Deck, um Seegall aufzuspüren, und traf ihn da in einer ernsten Unterhaltung mit Sanchez an. Die beiden lehnten sich über die Reling und betrachteten besorgt das Loch, das eine Kanonenkugel in den Bug der Mermaid geschlagen hatte.
»Natürlich weiß ich, dass die Reparatur bald gemacht werden muss. Bei starkem Seegang läuft uns da sonst Wasser rein …« Der Captain raufte seinen gewaltigen Bart.
»Der nächste Hafen ist Cap-Français«, bemerkte Sanchez. »Da wären wir in ein paar Stunden …«
»Haben wir da denn eine geheime Bucht?«, fragte der
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