Die Insel Der Tausend Quellen
lang. Máanu sah ihn nicht an, sie blickte angestrengt durch das winzige Bullauge der Kajüte aufs Meer hinaus. Und dann spürte sie plötzlich eine harte, kräftige Hand in der ihren. Akwasis Ketten klirrten, aber sie waren lang genug, um Máanu zu erreichen.
»Lass das Tier am Leben«, sagte er leise. »Du bist Zauber genug.«
»Was war das jetzt mit der Henne?«, erkundigte sich Doug.
Die Fortnams waren an den Strand geritten und sahen das Schiff, das Akwasi und seine Familie in eine schwere, aber gemeinsame Zukunft trug, in weiter Ferne vorbeiziehen. Dede hockte vor Doug in Amigos Sattel und krähte vor Vergnügen, wenn der Hengst galoppierte. Der Ausflug diente vor allem ihrer Ablenkung. Die Kleine hatte sich nur schwer von Jefe getrennt und trauerte jetzt schon um ihren Bruder.
Nora zuckte die Achseln. »Du kennst doch Obeah-Zeremonien«, sagte sie dann. »Das Blut der Henne beschwört einen Duppy.«
Doug nickte. »Sicher«, meinte er. »Aber wozu braucht sie den? Ich meine … sind drei nicht einer zu viel?«
Nora lachte. »Man kann Duppies aus verschiedenen Gründen rufen«, führte sie aus. »Aber Máanu hofft auf einen einsamen, liebebedürftigen. Der nimmt dann mit etwas Glück Besitz von dem Menschen, auf den sich die Zeremonie richtet, woraufhin der sich dem Menschen zuwendet, der die Zeremonie bezahlt hat.«
Doug rieb sich die Stirn. »Und das hält dann ewig?«, fragte er ungläubig.
Nora schüttelte den Kopf. »Nein. Kein Geist bleibt ewig. Aber manche … manche begleiten einen sehr, sehr lange.«
Sie warf einen fast entschuldigenden Blick auf die Hütte am Strand.
Doug seufzte. »Das kann ich bestätigen«, sagte er dann.
Er wusste, dass Nora Simons Andenken nach wie vor bei sich trug. Und wenn es immer noch keinen genauen Termin für ihre Hochzeit gab, so führte er das auch auf ihr ewiges schlechtes Gewissen gegenüber ihrem ersten Geliebten zurück.
Nora atmete tief durch. Dann traf sie einen Entschluss.
»Komm«, sagte sie gelassen und setzte ihr Pferd in Galopp.
Aurora lief brav bis zum Wasser, dann scheute sie vor den anbrandenden Wellen. Nora stieg ab und ließ die Zügel los.
Die Gemme, die sie aus Simons Siegelring hatte anfertigen lassen, lag in der Tasche ihres Reitkleides und fühlte sich warm und sicher an. Sie wartete wie immer auf ihre Berührung, aber das würde nun aufhören.
Nora winkte Doug, bis er neben ihr im Wasser stand. Dann griff sie in die Tasche ihres Kleides und fuhr noch einmal liebevoll über ihr Andenken an Simon. Sie nahm es heraus, ließ die Sonne sich darin spiegeln – und warf es dann weit ins Meer hinaus.
Nora lehnte sich an den Mann, den sie liebte, und meinte zu spüren, wie der Wind die Palmen zauste und die Wolken über das Meer schob. Die Wellen umschmeichelten sie, und sie war sicher, Simons sanfte Stimme einen Abschied flüstern zu hören, bevor sich sein Geist in der Weite der Karibik verlor.
NACHWORT
W enn das so einfach war, warum sind dann nicht alle Sklaven geflohen?
Die Frage drängt sich auf, wenn man in diesem Buch – oder in meinem Fall beim Recherchieren für dieses Buch – liest, wie nah die Dörfer der Maroons den Städten der Weißen waren und wie wenig die Sklaven bewacht wurden. Das raubte auch den damaligen Backras oft den Schlaf. Auf jeder größeren Plantage auf Jamaika oder anderen Inseln kamen lediglich eine Pflanzerfamilie und etwa zehn Aufseher auf um die zweihunderfünfzig Sklaven – die meisten davon junge, kräftige Männer, die alle entweder Zugang zu Macheten oder zumindest scharfen Küchenmessern hatten. Es wäre leicht gewesen, die Weißen zu überwältigen, zumal auch deren Feuerwaffen das Kräfteverhältnis kaum beeinflussten. Man schoss im 18. Jahrhundert noch mit Steinschlosspistolen oder -musketen, die nach jedem Schuss nachgeladen werden mussten. Bei einem ernsthaften Angriff der Arbeitsbrigade hätte der Aufseher nicht mehr als einen Schuss gehabt.
Dennoch gab es in der Geschichte der Karibik, ebenso wie der Südstaaten der USA, nur sehr wenige Sklavenaufstände, und es versuchte auch nur eine kleine Minderheit von Schwarzen die Flucht. Selbst dann, wenn das Ziel so verhältnismäßig leicht zu erreichen war wie die Blue Mountains auf Jamaika. Über die Gründe dafür kann man nur mutmaßen, und sie waren sicher vielschichtig. So muss man zum Beispiel berücksichtigen, dass die Population von Sklaven auf einer Plantage starker Fluktuation unterworfen war. Die Lebenserwartung eines Feldsklaven war
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