Die Insel der Witwen
steigerte sich von Tag zu Tag. Er konnte es nicht erwarten, endlich mit dem Leuchtturm zu beginnen. Die Gedanken rauschten durch seinen Kopf wie der Wind, der durch die Baumkronen fuhr. Es war seine Bestimmung, Leuchttürme zu bauen, Schiffe sicher zu leiten und Unglücke, wie er eines erlebt und überlebt hatte, zu verhindern. Er würde sein ganzes Leben lang Leuchttürme bauen, einen nach dem anderen. Und das teuflische Meer bezähmen. Wenn sein Leben einen Sinn hatte, wenn ihn ein Verlangen trieb, dann war es der Leuchtturmbau. Das Meer war ein Ungeheuer, ein riesiger Krake, der mit unzähligen Fangarmen ein Schiff nach dem anderen umschlang. Es verschluckte Abertausende von Menschen in seinem nimmersatten Rachen, um sie mit sich auf den Grund zu ziehen. Das Meer war eine Todesmaschine. Unaufhaltsam und gnadenlos donnerten und krachten die Wellen, stürzten wie eine Lawine über die Schiffe, deren Rümpfe auseinanderbrachen, deren Besatzung und Passagiere vor Angst und Verzweiflung solange schrien, bis auch die letzten tot von einer Holzplanke rutschten, an der sie sich festgeklammert hatten, bis auch sie untertauchten und nur noch das Gelächter des Meeres zu hören war, das Arm in Arm mit dem pfeifenden Wind einen Freudentanz aufführte, bis sich das Paar schlafen legte, um Kraft zu schöpfen, seine Gier nach Futter erneut zu befriedigen. Er hatte keinerlei sentimentale Gefühle, wenn das Meer still und glänzend in der Abendsonne oder im Mondschein dahinplätscherte. Eine glatte Wasseroberfläche bedeutete nur, dass sich die Meeresbestie auf neue Morde vorbereitete. Wenn das Meer ruhte, erschienen ihm Bilder des Entsetzens, Szenen, die er sein ganzes Leben lang nicht vergessen würde. Andreas Hartmann bemerkte, wie sein Herz immer schneller schlug und die Ader an seiner Schläfe zu pochen begann. Der Inselleuchtturm war eine Herausforderung. Nach dem Schiffsunglück hatte er sich geschworen, nie wieder Schiffsplanken zu betreten. Die Überfahrt würde ihn große Überwindung kosten. Andreas Hartmann biss sich auf die Lippen. Er musste es schaffen. Er legte seine Hand auf das pochende Herz, und tat einige tiefe Atemzüge.
Er hatte bereits Arbeitskolonnen gefunden und alles Material bestellt. Jetzt müsste er sich noch um die Transportschiffe kümmern. Und natürlich um einen Koch. Unterkünfte für die Arbeiter waren vorhanden. Ricken sprach von einigen Barackenhäusern. Andreas Hartmann war über jeden Zweifel erhaben. Nichts konnte ihn aufhalten, seinen Turm zu bauen. Nicht umsonst hatte das Meer die Eltern verschlungen und ihn lebendig wieder ausgespien. Er war dazu berufen, Leuchttürme zu bauen. Andreas Hartmann schloss die Augen. Er rollte sich zusammen und versuchte endlich zu schlafen.
Er war todmüde, gleichzeitig zu erregt, überspannt, um einschlafen zu können. Um zur Ruhe zu kommen, befriedigte er seine Lust. Er quälte sich dem Höhepunkt entgegen, stöhnte erstickt auf, um Almut nicht zu wecken, fiel schlaff und unglücklich auf sein Laken zurück. Draußen rauschte der Wind. Ein Fensterhaken klapperte. Er drehte sich zur Seite. Seine Gedanken wanderten weiter.
Er onanierte, wenn es ihn drängte. Andere Männer gingen ins Bordell, wie sein Bruder. Einmal hatte Friedrich ihn mitgenommen. Sie hatten einen Spaziergang gemacht. Plötzlich schlug Friedrich den Weg Richtung Hafen ein. Vor einem Etablissement, das ›Roter Anker‹ hieß, blieben sie stehen. In roten Lettern blinkte der Name über dem Eingang. Alle Fenster waren hell erleuchtet. Friedrich hakte seinen Arm unter den seinen und schmunzelte. Er, Andreas, zögerte, das Bordell zu betreten. Es blieb ihm keine Zeit zu überlegen.
Die Türsteherin führte sie mit aufreizenden Worten in den Salon. Der Geruch von schwerem Parfum, Zigarrenrauch und Alkohol schlug ihm entgegen. Der schummrig beleuchtete Raum war ganz in Rot gehalten. Sessel, Wände, Tischdecken. Alles rot. Die Frauen saßen auf den Kanapees, als gehörten sie zur Möblierung.
Sie setzten sich an einen kleinen runden Tisch rechts vom Eingang. Sofort kam eine Bedienung. Friedrich bestellte Branntwein. Der Bruder schien hier ein und aus zu gehen. Er aber hatte noch nie ein Bordell betreten. Weder vor seiner Ehe noch danach. Er fühlte sich wie ein dummer Junge. Er musterte die Frauen und Mädchen, Braune, Brünette, Blonde, schlank, mollig, zart und lieblich, mondän und verwegen, in tief ausgeschnittenen Korsetts, oder nur mit einem durchsichtigen Tuch umhüllt. Mit
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