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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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leuchtend rot geschminkten Lippen und entblößten Knien. Welche sollte er wählen? Welche zog ihn an? Er fühlte sich überfordert. Am liebsten wäre er geflohen. Gleichzeitig aber spürte er ein brennendes Verlangen.
    Lustschreie ertönten aus der oberen Etage. Schwüle Klavierklänge schwebten durch den Salon. Die ganze Szenerie drückte ihn nieder und erregte ihn gleichzeitig. Die erhitzten Männergesichter, die halb nackten Frauen, all das Rot.
    Friedrich hatte schnell mit einer schlanken, blonden Frau angebändelt und stieg mit ihr die Treppe aufs Zimmer hinauf. Er hatte ihm zuvor noch auffordernd gegen die Schulter geboxt.
    Er blieb nicht lang allein am Tisch. Eine füllige Brünette steuerte auf ihn zu. Sie strich mit der Hand über seine Wange. Alles fügte sich. Er selbst wäre niemals auf eine Frau zugegangen.
    Mit widersprüchlichen Gefühlen ließ er sich von ihr aufs Zimmer führen, fand sich wieder in einer roten Liebeshöhle verziert mit Satin-und Seidenstoffen und vergoldeten Spiegeln. In den Lüstern brannten rote Kerzen. Das Bett prangte in der Mitte des Zimmers. Es war aus schwarzem Holz und mit dunkelroten Vorhängen verhängt. Es glich einem Segelschiff, das zum Ablegen bereit war. Das Mädchen wollte sich mit ihm aufs Bett legen. Er setzte sich lieber auf den roten Fauteuil. Sie zog sich aus, ließ ihren Rock fallen, löste das Strumpfband, rollte die Strümpfe lasziv zum Fuß hin ab. Dann kam sie nackt auf ihn zu. Angst gepaart mit Ekel überkam ihn. Er verhinderte, dass sie sich auf seinen Schoß setzte, floh aus dem Zimmer und hastete auf dem direkten Wege nach Hause, zu Almut.
    Andreas Hartmann presste das Kopfkissen über sein Ohr. Bis heute konnte er sich nicht vorstellen, einer der vielen Männer zu sein, deren Penisse eine Dirne tagtäglich in sich aufnahm. Er ekelte sich davor. Gleichzeitig bedauerte er seinen Widerwillen, der ihn hinderte, eine dieser Frauen zu lieben.
    Friedrich war anders. Friedrich konnte sich vergnügen. Friedrich war immer der Unbeschwerte, Lustige gewesen. Ihm galten alle Sympathien. Er betörte alle Menschen mit seinem Charme. Auch die Eltern. Auch Mutter. Friedrich hatte immer Glück. Er war nicht auf dem Schiff. Er war in Hamburg geblieben. Friedrich, Mutters Sonnenschein und Vaters Hoffnungsträger. Wenn die Eltern wüssten, dass Friedrich seine Frau betrog und dunkle Geschäfte in der Schiffsfabrik machte. Wenn sie wüssten, dass sich hinter seiner Holdseligkeit eine kaltblütige Ratte verbarg, die in einer stinkenden Kloake hauste und seinen Artgenossen lächelnd die Butter vom Brot fraß, und sie, wenn es darauf ankam, elendig verhungern ließ. Nie war es ihm so deutlich wie jetzt. Der charmante Friedrich lebte in einer Welt der Verlogenheit und Abgebrühtheit, die ihn anwiderte und abstieß.
    Andreas Hartmann presste das Kissen noch fester auf das Ohr, als könne er dadurch seine Gedanken bezähmen.
     
    H
     
    Keike öffnete die Tür. Ocke Ketels, der Kojenmann, brachte die ersten Wildenten. Mit dem Herbst kamen sie in Scharen. Ocke fing sie mit den Lockenten ein. Sie dümpelten auf dem Teich der Vogelkoje. Ocke hatte ihnen die drei äußeren Schwungfedern mit dem Eckflügel abgeschnitten, sodass sie nicht mehr fliegen konnten. Die Wildenten ließen sich arglos auf dem Teich der Vogelkoje nieder. Ocke fütterte die Vögel gegen den Wind. Er trug ein Räucherfass mit schwelendem Torf mit sich, damit sie ihn nicht wittern konnten. Er verbarg sich hinter einer Wand aus Reet und warf Gerstenkörner, um sie in die Pfeifenkanäle zu locken. Die gezähmten Enten führten die Wildenten in die Kanalöffnung. Wenn die Enten in den Pfeifen waren, kam Ocke aus seinem Versteck heraus und erschreckte sie. Die Enten konnten den Ausgang nicht sehen, flüchteten weiter nach vorn. Sie versuchten, aufzufliegen. Ihre Köpfe stießen gegen das Netz, pressten gegen seine Maschen. Sie waren in der Reuse gefangen, schnatterten in Todesangst. Ocke griff eine Ente nach der anderen und drehte ihnen den Hals um. Er kringelte die ganze Schar. Mit Daumen und Zeigefinger fasste er Kopf und Schnabel, schwang den Körper der Ente über die Hand, drehte ihren Kopf, bis es knackte. Hunderten, Tausenden von wilden Enten brach er das Genick.
    Keike stand an der Tür, starrte auf Ockes fleischige Hände, die ihre Hälse knickten. Ente für Ente. Hals für Hals. Ocke lud die Säcke mit den Enten von seinem Karren, schüttete einen nach dem anderen auf dem Boden der Tenne aus. Nach dem

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