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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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ihm in den Kopf. Sein Darm schoss in die entgegengesetzte Richtung. Ich gehe nicht auf das Schiff. Ich kann nicht. Ich gehe nicht. Du hast zugesagt, du hast den Vertrag unterschrieben. Es gibt kein zurück. Reiß dich zusammen. Er hätte gern tief eingeatmet, aber der beißende Gestank hinderte ihn daran. Endlich gab sein Darm Ruhe. Der Magen krampfte weiterhin, aber er konnte, er musste jetzt den Abort verlassen.
    Mit weichen Knien ging er auf das Schiff zu. Die Wellen waren schaumbedeckt, eine graue wilde See lag vor ihm. Er fühlte sich wie eines der vor Angst blökenden Schafe, die in den Laderaum gepfercht wurden. Wenn er jetzt nicht all seinen Mut aufbrachte, müsste man auch ihn packen, um ihn auf das Boot zu hieven.
    Endlich saß er auf dem Boot. Zusammengekrümmt hockte er auf der Bank und bemühte sich, nicht über seinen Zustand nachzudenken. Das Boot legte ab. Kaum hatten sie sich vom Ufer entfernt, blies der Wind noch stärker. Das Schiff setzte hart und krachend auf. Die Wogen peitschten über die Reling. Das Fährschiff füllte sich mit Wasser. Andreas Hartmann wurde übel. Der Mageninhalt stieg ihm die Speiseröhre hinauf, klumpte sich hinter seinem Rachen zusammen, explodierte. Er spie Gift und Galle. Dann fiel er vor Erschöpfung in einen tiefen Schlaf und erwachte erst wieder, als das Schiff die Insel erreicht hatte.
     
    Er stand an Deck, warf einen ersten Blick auf die Insel. Dünen und Heide, Heide und Dünen. Trostlos und kahl. Dazu ein paar verwitterte Häuser, ein verregnetes, windschiefes Dorf. Alles umhüllt von grauem Niesel, den der Wind trieb. Andreas Hartmann fühlte sich zu matt, um bestürzt zu sein. Er dachte nur daran, von Bord zu kommen.
    Ein Matrose nahm ihn huckepack und trug ihn ans Ufer. Bevor er trockenen Boden unten den Füßen hatte, ging sein Träger in die Knie. Andreas Hartmann schrie auf. Seine Stiefel und Hosen waren durchnässt. Der Seemann lachte, watete durch das Wasser, setzte ihn hart auf der Insel ab. Andreas Hartmann zitterten die Knie. Einige Männer lungerten an der Mole herum. In ihren graublauen Jacken und Hosen wirkten sie bedrohlich. Unter den Wollmützen und Bärten äugten griesgrämige Mienen heraus. Einige Männer hatten weiße Tonpfeifen in den Mundwinkeln. Sie schienen an leeren Pfeifen zu saugen, denn es stieg kein Rauch auf. Die Kerle hatten ihre Arme vor der Brust zu einem Bollwerk verschränkt. Ein Haufen Wilder, dachte Andreas Hartmann.
    Ein grimmiger Mann mit hartem, kantigen Gesicht und einem Körperbau, der einer Seemannskiste glich, kam ihm behäbigen Schrittes entgegen. »Nissen, ich bin der Strandvogt, ich soll Sie zur Unterkunft bringen.«
    Mehr kam nicht über seine Lippen.
    Ein Pferdefuhrwerk stand bereit. Andreas Hartmann holte seine Taschen. Niemand half ihm beim Aufladen. Er stieg auf. Der Wagen setzte sich mit einem heftigen Ruck in Bewegung. Andreas Hartmann fror erbärmlich. Er hatte eiskalte Beine.
    Die Insellandschaft sah überall gleich aus, sofern man etwas erkennen konnte. Einige Häuser waren verfallen. Löcher klafften in den Reetdächern, vermoderte und eingestürzte Dachbalken kamen zum Vorschein. Hinter dem Dorf kam das Nichts. Andreas Hartmann schloss die Augen. Rickens Worte fielen ihm ein. Verbannung, hörte er ihn sagen. Es wird den Männern wie eine Verbannung vorkommen.
    Das Geklapper der Pferdehufe ertönte, umsponnen von Windgeräuschen. Der Niesel wehte ihm in Schwaden ins Gesicht. Es ging noch eine Weile geradeaus, dann bogen sie nach rechts in einen kleinen Stichweg ab, der in die Dünen führte. Der Strandvogt hielt an. Nissen schwieg. Er blieb auf dem Bock sitzen. Andreas Hartmann hatte verstanden. Er stieg ab, sah ein paar Hütten, die am Rand der Düne standen.
    »Wo ist meine Unterkunft?«
    Nissen zeigte mit dem Finger auf die kleinste Baracke direkt am Fuße der Düne.
    Andreas Hartmann lud sein Gepäck ab. Kaum hatte er die letzte Tasche ergriffen, schnalzte Nissen. Der Wagen machte einen Satz nach vorn. Nissen drehte um und ruckelte von dannen.
    Er öffnete die Tür seiner Baracke. Die verrosteten Scharniere knarrten. Der Gestank von Schafsmist schlug ihm entgegen. Er stellte sein Gepäck ab. Jemand hatte den Ofen angeheizt. Immerhin. Aber er rauchte und rußte und Wärme schien er nicht zu spenden. Nicht einmal einen anständigen Ofen hatte er in dieser Bude. Andreas Hartmann hauchte warmen Atem in seine Hände, rieb sie fest aneinander. Er setzte sich auf einen wackligen Hocker, zog seine nassen

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