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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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gegenseitig anseilen. Das Eis war trügerisch, besonders über den tiefen Wattenläufen. Wenn eine Frau durchbrach, konnten die anderen sie herausziehen. Erst, wenn sie gesichert waren, schwangen sie ihre Beile und schlugen Löcher ins Eis hinein, stachen mit den Stechern kräftig in den Schlick. Keike konnte in den Händen spüren, wenn sie auf einen Aal gestoßen war. Manchmal spießte sie sechs Aale auf einmal auf. Aber meistens schlug sie an die fünfzehn Löcher und hatte nur sehr wenig gefangen.
    Keike setzte sich an den Tisch, entzündete eine Kerze. Sie blickte in den Kerzenschein. Musste sie ihr Leben lang so weiterleben? Sie war so entsetzlich müde. Von der Kerze hing eine lange Schnuppe herab. Sie nahm die Lichtschere, kürzte den Docht. Plötzlich knarrte die Tür. Ein schöner, fremder Mann trat ein. Vor Schreck fiel ihr der glimmende Docht herunter. Er brannte ein großes Loch in das Leinentuch. Eine große Flamme loderte empor. Das Feuer breitete sich im ganzen Haus aus. Sie wollte die Kinder warnen, den Schwiegervater packen und aus dem Haus fliehen, aber sie konnte weder schreien noch laufen. Der fremde Mann kam auf sie zu und löschte den Brand, indem er seine Hand auf das Leinentuch legte. Dann küsste er sie auf den Mund. Ein Flammenkuss. Er verschwand wieder. Das Feuer im Haus war gelöscht. Die Glut war in ihr Herz gekrochen.
     

ZWEITE WELLE

     

1
    Um zwei Uhr morgens stieg Andreas Hartmann auf den Wagen, um die letzte Wegstrecke zum Fährhafen hinter sich zu bringen. Er war missgelaunt. Seit er Hamburg verlassen hatte, fror er. Tagelang hatte es geregnet. Die Wege waren in einem fürchterlichen Zustand, der Kutscher ein Torfkopp. Andreas Hartmann rieb sich die Beine. Die Knochen schmerzten von der Feuchtigkeit. Zudem stieg ihm langsam die Angst in den Nacken.
    Der Wagen holperte über die Landstraßen. Die ganze Gegend schimmerte in bläulichem Mondlicht. Die Wolken, die am Himmel vorüberjagten, glichen Gespenstern. Andreas Hartmann schauderte. Sie fuhren durch unendliche Heidefelder. Der blasse Mond, die schwarze, eintönige Landschaft deprimierten und ängstigten ihn. Es sind meine Nerven, dachte er.
    Im Morgengrauen passierten sie ein schäbiges Dorf. Sie hielten vor einem Gasthof, um sich zu stärken und die Pferde zu füttern. In der Gaststube blakte ein Talglicht in einem eisernen Leuchter. Halb geleerte Krüge und Gläser standen auf dem Tisch.
    »He da, ist da jemand?«
    Eine schläfrige Magd schlurfte auf sie zu.
    »Zwei Eierbier, bitte.«
    Das Mädchen antwortete nicht. Sie schlappte zum Herd und machte Feuer. Sie bewegte sich wie eine Schnecke.
    Andreas Hartmann schob einen Bierkrug beiseite, klebte mit dem Ärmel am Tisch fest.
    Sie schwiegen. Was hätte er auch mit dem Kutscher reden sollen? Das Eierbier ließ auf sich warten. Er fürchtete, darauf verzichten zu müssen. Er durfte die Fähre auf keinen Fall verpassen.
    Endlich kam die Trina mit dem Eierbier. Wenigstens schmeckte es gut. Er trank mit Genuss. Der Kutscher schlürfte so laut, wie er es noch nie gehört hatte. Andreas Hartmann warf ihm einen mahnenden Blick zu, was zu keinem Erfolg führte. Als der Dröhnbüdel seinen Bierkrug absetzte, hingen ihm Reste des Getränks im Bart. Zu guter Letzt rülpste er.
    Mit einem heftigen Ruck fuhr die Kutsche an. Weiter ging es Richtung Höstebüll. Sie passierten einige Dörfer. Die Leute, die Andreas Hartmann auf der Straße sah, hatten verschlossene Gesichter. Sie lugten mürrisch unter ihren Mützen hervor.
    Sie quälten sich weiter über aufgeweichte Wege. Bislang waren sie über die Geest gefahren, jetzt hatte die Marsch begonnen. Die Pferde versanken in dem schlammigen Lehm. Der Wagen schwankte wie ein Boot auf stürmischer See. Andreas Hartmann bedauerte, dass er den Auftrag angenommen hatte. Er hatte noch nie einen Leuchtturm auf einer Insel gebaut. Dieser Auftrag nötigte ihm ab, seine Füße auf Schiffsplanken zu setzen. Seit seinem dreizehnten Lebensjahr hatte er nie wieder ein Schiff betreten, nicht einmal ein Ruderboot. Mit Sorge lauschte er den Windgeräuschen. Ein Pfeifen. Der Wind hatte zugenommen. Die Böen stießen kräftiger. Auch das noch. Sein Magen fühlte sich an wie eine Bleikugel.
    Am Mittag erreichten sie den Fährhafen. Andreas Hartmann rannte zum Häuschen. Sein Magen krampfte. Er hielt sich den Bauch, stöhnte, riss die Hosen herunter. Der Gestank, der aufdampfte, verursachte ihm Übelkeit. Soll doch ein anderer den Inselleuchtturm bauen, schoss es

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