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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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seinen Bericht: ins Wasser gegangen wegen Insel-Melancholia . Oder: Beim Fischen ertrunken und nicht wieder gekommen. Oder: in einer Diebeshöhle in den Dünen verschüttet.
    Er trinkt seinen Grog und wartet auf die Flut, die ihn wieder ans Festland bringt, denn er will auf keinen Fall länger als nötig auf der Insel bleiben.«
    Lorenzen lachte. »Der Neue hat verstanden, dass die Insel ihre eigenen Gesetze hat. Aber nun mal im Ernst, der Erk kannte jeden Winkel der Insel. Und sein Boot lag im Hafen vor Anker. Wodurch sollte er verunglückt sein? Na ja, vielleicht ist er doch in den Dünen umgekommen. Broder Lüders erzählte mir, er hätte Erk als Gonger über der Möwendüne schweben sehen.«
    »Das ist doch ausgemachter Unsinn!«
    »Nein, nein, es lässt sich nicht alles mit dem Verstand erklären. Man muss hier leben. Dann sieht man viele Dinge anders.« Der Kapitän kniff die Augen zusammen. Er zeigte mit der Löffelspitze auf Andreas Hartmann. Meine Großmutter hatte das Zweite Gesicht . Da gibt es nichts. Bei meiner ersten Reise hatte sie prophezeit, dass das Schiff verunglücken würde. Und so passierte es. Also, wir sind nach Grönland unterwegs, liegen bei Cuxhaven, als der Wind immer stärker aufbrist und die Wolkentürme sich schwarz über uns zusammenbrauen. Viele Schiffe machen kehrt und laufen in den Hafen ein, wir aber kreuzen seewärts. Wir müssen alle zwei Stunden halsen. Nach zehn Tagen haben wir Grönland erreicht. Wir müssen immer mehr pumpen, weil wir ein Leck am Steven haben. Die Zimmerleute können es nicht ausbessern. Dann kommt Dünung auf. Uns bricht die Ruderpinne, sodass wir das Ruder wegnehmen müssen. Unser Schiff bekommt schwere Stöße. Es kriegt immer mehr Lecks. Wir pumpen und pumpen, und es kommt noch schlimmer.«
    Sein Kinn schob sich nach vorn. Er riss die stahlgrauen Augen auf. »Also, wir segeln in das Eis hinein. Es wird immer dichter und schwerer, und wir glauben zerquetscht zu werden. Dann gelingt es uns, die Schaluppen zu setzen und wir können uns mit ein wenig Proviant auf eine Eisscholle retten. Das war im April, wir befanden uns auf achtundsechzig Grad neunundzwanzig Minuten Nord-Breite. Wir sitzen nun auf der Scholle und sehen zu, wie das Schiff vom Eis zermalmt wird. Uns bleibt nichts anderes mehr übrig, als uns mit den Schaluppen über das Eis …«
    Die Zeit verging. Lorenzen verlor sich im Meer der Einzelheiten. Andreas Hartmann ermüdete.
    »… kommen wir auf Island an. Dort bekamen wir in einem Haus warmes Essen … durften im Stall schlafen. Reykjavik … Kopenhagener Sloop. Ende Mai … glücklich wieder zu Hause. Meine Großmutter sagte nur: ›Ihr dummen Jungs.‹ Und gab mir eine Ohrfeige. Sie konnte übrigens auch mit ihren Pantoffeln Sturm machen.
    Tja, das war das. Oh, da fällt mir noch was ein. Auf einer Reise in die Südsee, ich war bereits Kapitän, war ein rechtschaffener Schiffszimmermann zu mir gekommen und erzählte mir, dass er den Klabautermann auf dem Schiff gesehen hätte. ›Ich habe ein Stück Brennholz nach ihm geworfen‹, sagte er. Am nächsten Tag hatte sich der Zimmermann das Bein gebrochen …«
    Andreas Hartmann erhob sich. »Ich muss jetzt gehen, die Arbeit ruft. Ich muss alles für morgen vorbereiten. Danke für die Suppe.«
    Lorenzen rührte mit dem Löffel in der Suppe. »Sie müssen schon gehen?«
     

2
    Zwei Frachtschiffe waren eingetroffen. Sie brachten Holz und Werkzeuge für den Bohlenweg, Wagen, Pferde sowie dreißig Arbeiter, den Koch und viele Kisten voller Küchengerätschaften und Nahrungsmittel. Sofort ließ Andreas Hartmann die Männer die Schiffe entladen, solange die Tide dies noch zuließ. Erst danach erlaubte er ihnen, ihr Quartier in den Baracken zu beziehen. Das sorgte für Unmut, aber er war fest entschlossen, den Arbeitern von Anfang an zu zeigen, dass sie nicht zum Faulenzen auf die Insel gekommen waren. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass man sie nicht zu freundlich behandeln durfte. Außerdem musste er jeden Tag ausnutzen, an dem das Wetter günstig war. Überdies hatte Ricken recht: er fand auf der Insel keine Arbeiter. Wer den Verdienst nicht unbedingt brauchte, weigerte sich. Nur wenige Tagelöhner packten mit an. Die meisten Männer fuhren ohnehin zur See. Die Handvoll Bauern arbeitete auf dem Feld. Die paar Handwerker waren nicht der Rede wert. Und die Alten standen herum und gafften.
    Er hatte Glück. Der Arbeitstrupp vom Festland war brauchbar und das Wetter blieb trocken. Bis Sonntag wollte er

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