Die Insel der Witwen
Nachtarbeit abzuhalten. Einmal löschte sie ihm sogar die Lampe. Sie machte sich Sorgen um ihn. Die Fürsorge seiner Frau war nicht das, was er jetzt brauchte. Er fragte sich, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, das Büro im Haus einzurichten. Wie auch immer, je eher er den Entwurf und den Bauplan fertiggestellt hatte, desto schneller käme der endgültige Bescheid. Außerdem plagten ihn wieder Albträume. Nicht schlafen hieß nicht träumen müssen.
Die große Düne auf Taldsum war aufgekauft worden. Wenn die Pläne rechtzeitig erstellt und abgesegnet waren, könnte er Anfang nächsten Jahres, gleich nach dem Frost, mit dem Bau beginnen. Die Zeichnungen waren bereits auf dem Pergament. Das Zeichnen fiel ihm am leichtesten. Das Schriftliche machte ihm Mühe. Manchmal wurde er ungeduldiger, als es seiner Natur ohnehin entsprach. Heute hatte er leider den Ablauf des Bauvorhabens zu verfassen. Es half nichts. Er tunkte die Feder ein.
Die Lieferungen der Baumaterialien und die Ausführung der Bauarbeiten werden in folgender Weise zu beschaffen und auszuführen sein und die veranschlagten Summen nach Maßgabe der Lieferungen und der ausgeführten Bauarbeiten zur Verwendung kommen.
Er nagte am Federstiel. Wenn die Pläne akzeptiert würden, könnte er endlich wieder auf die Baustelle. Er sehnte sich danach, den Turm Stein für Stein wachsen zu sehen.
Folgende Abfolge der Arbeiten ist vorgesehen:
Sukzessive Anlieferung der Materialien
Bau einer Transport-Holzbahn zur Düne
Aushub für das Fundament des Turmes
Fundamentlegung
(Anm. Mit der Legung des Fundamentes wird auch das Wärtergebäude begonnen.)
Sockelbau für den Turm
Aufmauern der Steinlagen des Turms
Parallel der Aufbau des Hohlpfeilers und der Granittreppe
Einziehen der Stockwerke
Bau des Lampenhauses und des Umgangs
Einbau der Lampe
Almut rief zum Abendessen. Andreas Hartmann legte die Feder zur Seite. Die Details würde er nach dem Essen notieren.
Er ging die Treppe hinunter ins Speisezimmer. Jule und Hannes saßen bereits am Tisch, Brot und Wurst standen bereit. Almut brachte die Butter.
Andreas Hartmann beachtete seine Familie nicht. Auch den duftenden Gartenstrauß, der den Tisch zierte, nahm er nicht wahr. Seine Gedanken kreisten um den Bauplan.
Jule sprach das Tischgebet. Er hörte nicht zu.
»Mit Gottes Segen, Amen.«
Almut legte den Kindern Brotscheiben auf die Teller.
»Gehen Sie morgen Nachmittag mit mir zum Hafen, Vater?«
Almut warf ihrem Sohn einen strafenden Blick zu. »Hannes, das hat Zeit bis nach dem Essen.«
»Ich kann nicht mit dir gehen. Ich muss arbeiten.« »Andreas, bitte, erst das Essen, danach können wir uns unterhalten.«
Sie speisten. Andreas Hartmann aß hastig. Almut beobachtete ihn. Er bemerkte es erst nach einer Weile, verlangsamte sein Kauen. Sie goss den Kindern Milch nach. Ihre ruhigen Bewegungen machten ihn nervös. Er schlang das Brot hinunter, trank sein Bier in einem Zug aus, schnellte hoch.
»Ich mache weiter. Ich muss bis morgen Abend fertig werden. Übermorgen will ich die Unterlagen nach Berlin schicken.«
Hannes verzog das Gesicht. »Aber ich möchte zum Hafen!«
»Wir gehen nächsten Sonntag, einverstanden?«
»Andreas, ich hatte es dir gesagt. Nächsten Sonntag kommt Pastor Krause mit Familie.« Almuts Stimme klang sanft, aber bestimmt. »Aber nun lass uns doch bitte in Ruhe zu Ende essen. Gott hat uns die Speisen nicht geschenkt, damit wir sie missachten.«
Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Gönn dir ein wenig Pause. Du hast schon wieder ganz dunkle Augenränder.«
Er arbeitete die ganze Nacht und den darauffolgenden Tag durch. Almut hatte zweimal versucht, ihm die Feder aus der Hand zu nehmen, um ihn zum Frühstück und zum Mittagessen zu bewegen. Er bat nur um Kaffee. Es war ihm nicht möglich, eine Pause zu machen, obwohl wieder jenes unruhige Flirren seine Adern durchströmte, er gleichzeitig todmüde war und merkte, dass ihm schwindelig wurde. Er musste weiterschreiben, so lange, bis alle Unterlagen erstellt waren, bis er sie ins Kuvert stecken und sie mit der nächsten Postkutsche dem Ministerium schicken konnte.
Seine Augen zuckten. Er kniff sie zusammen, rieb mit den Fingerkuppen über die Lider, blinzelte ein paar Mal. Almut hatte recht. Er übertrieb. Er müsste wirklich mehr Pausen machen, mehr schlafen, zumindest ausruhen. Gleichzeitig konnte er es nicht leiden, wenn Almut ihn ermahnte. Er trank einen
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