Die Insel des Dr. Moreau
dem Auge zu verlieren, um nicht mit diesem furchtbaren Gefährten allein zu bleiben. Ich stolperte trotz unendlicher Ermattung und trotz der brütenden Hitze des tropischen Nachmittags weiter.
Und schließlich ließ die Wut der Verfolger nach. Wir hatten das elende Geschöpf in einem Winkel der Insel eingeschlossen. Moreau ordnete uns, die Peitsche in der Hand, in eine unregelmäßige Linie, und wir rückten jetzt langsam vor, während wir einander dabei zuriefen, und bildeten einen Kordon um unser Opfer. Es lauerte geräuschlos und unsichtbar in den Büschen, durch die ich bei jener nächtlichen Verfolgung vor ihm geflohen war.
»Ruhig!« rief Moreau, »ruhig!«, als wir das Gewirr von Unterholz erreichten und das Tier einschlossen.
»Achtung, daß er uns nicht entwischt!« tönte Montgomerys Stimme hinter uns aus dem Dickicht.
Ich stand auf dem Hang über dem Gebüsch. Montgomery und Moreau gingen unten am Strand entlang. Langsam drangen wir durch das Flechtwerk von Zweigen und Laub vor. Der Leopardenmensch verhielt sich still.
»Zurück in das Haus des Schmerzes, in das Haus des Schmerzes, in das Haus des Schmerzes!« bellte die Stimme des Affenmenschen ungefähr zwanzig Meter rechts von mir.
Als ich das hörte, vergab ich dem armen Geschöpf alle Furcht, die es mir eingeflößt hatte. Ebenfalls rechts von mir brachen unter dem schweren Tritt des Pferderhinozeros die Äste, und die Zweige schnellten zurück. Dann sah ich plötzlich durch das gezackte Laub hindurch im Halbdunkel unter dem üppigen Grün das Geschöpf, das wir jagten. Ich blieb stehen. Es hatte sich so klein wie möglich gemacht und blickte mich mit seinen leuchtenden grünen Augen an.
Es mag als ein seltsamer Widerspruch erscheinen - ich kann die Tatsache nicht erklären -, aber jetzt, da ich das Wesen dort in seiner ganz und gar tierischen Haltung sah, mit funkelnden Augen, das unvollkommen ausgebildete Gesicht vor Angst verzerrt, da empfand ich wieder, wie menschlich es doch war. Noch einen Moment, und die anderen Verfolger mußten es sehen, und es würde überwältigt und gefangen, um noch einmal die furchtbaren Qualen innerhalb der Ummauerung zu erfahren. Rasch zog ich den Revolver heraus, zielte zwischen die angsterfüllten Augen und feuerte.
In diesem Augenblick sah das Hyänenschwein das Geschöpf, warf sich mit einem gierigen Schrei darauf und schlug ihm blutdürstige Zähne in den Nacken. Rings um mich schwankten und krachten die grünen Massen des Dickichts, als das Tiervolk herbeistürzte. Ein Gesicht nach dem andern tauchte auf.
»Töten Sie’s nicht, Prendick«, rief Moreau. »Töten Sie’s nicht!« Und ich sah, wie er sich bückte, als er unter dem Laub der großen Farne durchbrach.
Im nächsten Moment hatte er das Hyänenschwein mit dem Griff seiner Peitsche zurückgeschlagen, und er und Montgomery hielten das aufgeregte fleischfressende Tiervolk, besonders M’ling, von dem noch zuckenden Leichnam ab. Das haarige graue Wesen kroch, nach der Leiche schnüffelnd, unter meinem Arm durch. Die anderen Tiere stießen mich beiseite, um besser sehen zu können.
»Verdammt, Prendick!« rief Moreau. »Ich wollte ihn haben.«
»Tut mir leid«, sagte ich, obgleich es mir nicht leid tat. »Es ist wie von allein geschehen.« Ich fühlte mich krank vor Anstrengung und Aufregung. Ich drehte mich um, arbeitete mich aus dem Haufen des mich umdrängenden Tiervolkes heraus und ging allein den Hang hinauf zum höher gelegenen Teil der Landzunge. Ich hörte Moreaus gebieterische Stimme und knackende Geräusche, als die drei weißbandagierten Stiermenschen das Opfer zum Wasser hinunterschleppten.
Es war eine gute Gelegenheit, allein zu sein. Das Tiervolk bekundete eine ganz menschliche Neugier für die Leiche und folgte ihr in dichter Schar; die Geschöpfe knurrten und beschnüffelten sie, als die Stiermenschen sie den Strand hinunterschleiften. Ich ging zu der Landzunge und beobachtete die Stiermenschen, wie sie, schwarz vor dem Abendhimmel, die schwere Last ins Meer hinaustrugen, und wie eine Eingebung überkam mich die Einsicht in die unsägliche Zwecklosigkeit der Vorgänge auf dieser Insel. Am Strand zwischen den Felsen unter mir standen der Affenmensch, das Hyänenschwein und noch ein paar andere vom Tiervolk um Moreau und Montgomery herum. Sie waren alle äußerst aufgeregt und flossen über von Beteuerungen ihrer Treue gegen das Gesetz. Und doch war ich absolut überzeugt, daß das Hyänenschwein am Töten der Kaninchen beteiligt
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