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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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ich ohne eine Spur von Erregung hörte, wie für das Pumaopfer ein neuer Tag der Qual begann. Das Tier empfing seinen Peiniger mit einem Schrei, der dem einer wütenden Amazone glich.
    Dann geschah etwas. Was es war, weiß ich bis zum heutigen Tag nicht genau. Ich hörte hinter mir einen scharfen Schrei, einen Sturz, wandte mich um und sah ein furchtbares Gesicht auf mich losstürzen, kein menschliches, kein tierisches, sondern ein höllisches, braun, mit roten verästelten Narben übersät, aus denen rote Tropfen traten, die lidlosen Augen flackernd. Ich warf meinen Arm in die Höhe, um den Hieb abzuwehren, der mich mit solcher Wucht kopfüber zu Boden schleuderte, daß ich mit gebrochenem Arm liegenblieb; und das mit Scharpie und rotgefleckten Bandagen umwickelte Ungeheuer sprang über mich fort. Ich überschlug mich mehrmals und rollte den Strand hinunter, versuchte mich aufzusetzen und brach vollends zusammen. Dann erschien Moreau; sein massiges weißes Gesicht sah schrecklich aus, das Blut tropfte ihm von der Stirne; in der einen Hand trug er einen Revolver. Er sah mich kaum an, sondern stürzte hinter dem Puma her.
    Ich versuchte mich auf den anderen Arm zu stützen und setzte mich auf. Die umwickelte Gestalt lief schon in einiger Entfernung in großen Sätzen und Sprüngen den Strand entlang, und Moreau folgte ihr. Sie wandte den Kopf und sah ihn; dann schlug der Puma plötzlich einen Haken und stürzte auf die Büsche los. Er gewann mit jedem Schritt an Vorsprung. Ich sah ihn in das Unterholz hineintauchen, und Moreau, der schräg am Waldrand entlanglief, um ihn abzufangen, feuerte und fehlte, als er verschwand. Dann stürzte auch Moreau sich in die grüne Wildnis.
    Ich starrte ihnen nach, und dann flammte der Schmerz in meinem Arm auf. Ich rappelte mich stöhnend auf. Montgomery erschien angezogen und mit dem Revolver in der Hand im Tor.
    »Großer Gott, Prendick!« sagte er, ohne zu merken, daß ich verletzt war. »Die Bestie ist los! Hat die Kette aus der Mauer gerissen. Haben Sie sie gesehen?« Dann rief er scharf, als er sah, daß ich nach meinem Arm griff: »Was ist?«
    »Ich stand im Tor«, antwortete ich.
    Er trat heran und betrachtete meinen Arm. »Blut auf dem Ärmel«, sagte er und streifte den Flanell zurück. Er steckte die Waffe in die Tasche, befühlte sorgfältig meinen Arm und führte mich ins Haus. »Ihr Arm ist gebrochen«, sagte er; und dann: »Erzählen Sie mir genau, was geschehen ist.«
    Ich erzählte ihm, was ich gesehen hatte, erzählte in abgehackten Sätzen mit Lücken des Schmerzes dazwischen, und er verband mir indessen den Arm sehr geschickt und schnell. Er legte mir eine Binde um die Schulter, trat zurück und sah mich an. »Das wird gehen«, sagte er. »Und jetzt?« Er dachte nach. Dann ging er hinaus und verschloß die Tore der Ummauerung. Er blieb einige Zeit fort.
    Mich beschäftigte hauptsächlich mein Arm. Der Zwischenfall erschien mir nur als eines mehr von vielen furchtbaren Dingen. Ich setzte mich in den Schiffsstuhl und, ich muß es gestehen, verfluchte die Insel von Herzen. Ich fühlte einen brennenden Schmerz in meinem Arm, als Montgomery wieder erschien.
    Sein Gesicht war ziemlich bleich, und wenn er den Mund öffnete, war das Zahnfleisch seines Unterkiefers deutlicher zu sehen als jemals zuvor. »Ich habe ihn weder gesehen noch gehört«, sagte er. »Ich habe mir gedacht, vielleicht braucht er meine Hilfe.« Er starrte mich mit seinen ausdruckslosen Augen an. »Das war eine starke Bestie«, erklärte er. »Sie riß die Fesseln einfach aus der Mauer.«
    Er trat ans Fenster, dann an die Tür, und dort drehte er sich zu mir um. »Ich werde ihm nachgehen«, sagte er. »Wir haben noch einen Revolver, den werde ich Ihnen hierlassen. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich bin ziemlich besorgt.«
    Er holte die Waffe und legte sie vor mir auf den Tisch, dann ging er hinaus. Seine Besorgnis hatte mich angesteckt. Ich blieb nicht lange sitzen, als er fort war. Ich nahm den Revolver in die Hand und trat zur Tür.
    Der Morgen war still wie der Tod. Kein Windhauch rührte sich, die See lag da wie poliertes Glas, der Himmel war leer, der Strand verlassen. In meinem erregten, ja fiebrigen Zustand bedrückte mich diese Stille.
    Ich versuchte zu pfeifen, und die Melodie erstarb. Ich fluchte noch einmal - das zweitemal an diesem Morgen. Dann ging ich an die Ecke der Ummauerung und spähte über den grünen Busch, der Moreau und Montgomery verschluckt hatte, ins Land hinein. Wann würden

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