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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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gewesen war. Eine seltsame Gewißheit überkam mich, daß ich hier - wenn auch in groben Umrissen und bizarren Formen - im kleinen die ganze Bilanz des menschlichen Lebens vor mir hatte, das ganze Zusammenspiel von Instinkt, Vernunft und Schicksal in seiner einfachsten Form. Der Leopardenmensch war zufällig zugrunde gegangen. Das war der ganze Unterschied.
    Die armen Tiere! Ich begann die gemeinere Seite von Moreaus Grausamkeit zu sehen. Ich hatte bisher noch nicht an den Schmerz und die Unruhe gedacht, die diese armen Opfer befielen, nachdem sie aus Moreaus Händen entlassen waren. Mir hatte nur vor den Stunden und Tagen der unmittelbaren Peinigung im Hause geschaudert. Aber jetzt schien mir das der geringere Teil. Vorher waren sie Tiere gewesen; ihre Instinkte waren ihrer Umgebung angepaßt und sie selbst so glücklich, wie lebendige Wesen nur sein können. Jetzt stolperten sie in den Fesseln der Menschlichkeit dahin, lebten in einer Angst, die niemals schwand, von einem Gesetz gequält, das sie nicht verstanden; ihre halbmenschliche Existenz begann in Qualen, war ein einziger langer, innerer Kampf, eine einzige ständige Furcht vor Moreau - und wozu? Die Nutzlosigkeit regte mich auf.
    Hätte Moreau irgendein verständliches Ziel gehabt, so hätte ich wenigstens ein wenig mit ihm sympathisieren können. So empfindlich gegen den Schmerz bin ich nicht. Ich hätte ihm vielleicht sogar teilweise verziehen, wenn sein Motiv Haß gewesen wäre. Aber er war so verantwortungslos, so absolut gleichgültig. Seine Wißbegierde, seine tollen, ziellosen Forschungen trieben ihn vorwärts, und die von ihm geschaffenen Wesen wurden ausgesetzt, um kaum länger als ein Jahr zu leben; um zu kämpfen, zu irren und zu leiden; um schließlich in Schmerzen zu sterben. Sie waren elend, der alte tierische Haß drängte sie, sich gegenseitig zu bedrohen; nur das Gesetz hielt sie von einem kurzen, heißen Kampf und der klaren Entscheidung ihrer natürlichen Feindseligkeit zurück.
    In diesen Tagen entsprach meine Furcht vor dem Tiervolk meiner persönlichen Angst vor Moreau. Ich verfiel in einen krankhaften, leidenden Zustand, der in meinem Geist dauernde Narben zurückgelassen hat. Ich muß gestehen, daß ich den Glauben an die Gesundheit der Welt verlor, als ich sah, daß diese Welt die schmerzhafte Unordnung dieser Insel duldete. Ein blindes Schicksal, ein ungeheurer, erbarmungsloser Mechanismus schien dieses Dasein zu formen, und Moreau (durch seine Leidenschaft für die Forschung), Montgomery (durch seine Leidenschaft für das Trinken), ich und das Tiervolk mit seinen Instinkten und geistigen Beschränkungen wurden erbarmungslos, unvermeidlich in dem unendlich komplizierten, nie ruhenden Räderwerk zerrieben und zermalmt. Aber dieser Zustand kam nicht über Nacht ... Ich glaube, ich greife ein wenig vor, wenn ich jetzt schon davon rede.

17
    Eine Katastrophe

    Nach kaum sechs Wochen hatte ich jede Empfindung außer Abneigung und Widerwillen gegen die schändlichen Experimente Moreaus verloren. Mein einziger Gedanke war, von diesen furchtbaren Karikaturen der Schöpfung fortzukommen, zurück zur frischen und gesunden Betriebsamkeit der Menschen. Meine anfängliche Freundschaft mit Montgomery vertiefte sich nicht. Seine lange Trennung von den Menschen, das heimliche Laster des Trinkens, seine offenbare Sympathie für das Tiervolk machten ihn mir verhaßt. Mehrere Male ließ ich ihn allein zu den Tiermenschen gehen. Ich vermied den Verkehr mit ihnen auf jede mögliche Weise. Ich verbrachte einen immer größeren Teil meiner Zeit am Strand und sah nach einem erlösenden Segel aus, das nie erschien, bis uns eines Tages ein entsetzliches Unheil befiel, das meine unheimliche Umgebung entscheidend veränderte.
    Es war etwa sieben oder acht Wochen nach meiner Landung - eher mehr, denke ich, obgleich ich mich nie bemüht hatte, das Zeitgefühl nicht zu verlieren -, als diese Katastrophe hereinbrach. Es war am frühen Morgen - etwa gegen sechs. Ich war früh aufgestanden und hatte gefrühstückt; der Lärm dreier Tiermenschen, die Holz in den ummauerten Hof trugen, hatte mich aufgeweckt.
    Nach dem Frühstück ging ich zu dem offenen Tor der Ummauerung, stand eine Weile dort, rauchte eine Zigarette und genoß die Frische des Morgens. Bald kam Moreau um die Ecke und grüßte mich. Er ging an mir vorbei, und ich hörte, wie er hinter mir sein Laboratorium aufschloß und betrat. Ich hatte mich mittlerweile so an die Greuel dieses Orts gewöhnt, daß

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