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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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lauschte.
     
     
    Ach, wüßte ich einen Weg, wie ich an diesem Höllengeist gerechte Rache nehmen könnte, so würde ich als Gegenleistung vielleicht sogar darauf verzichten, mit dir nach
    meinem Plan zu verfahren. Dennoch, selbst für die Gelegenheit, es Ariel heimzuzahlen, hätte ich deinen Vater nicht verschont. Nein, Prospero war der Erzteufel, und ich verfluche ihn über den Tod hinaus dafür, daß er mir entkommen ist.
    Wie manche ihre Mußestunden damit verbringen, spazierenzugehen oder zu singen, so ergötzte sich dieser elende Ariel daran, mich überall zu verfolgen und mir die Tage mit Streichen und Schmähungen und anderen Nachstellungen zu vergällen. Solange deinem Vater an meinem starken, gebeugten Rücken gelegen war, durfte Ariel mich nicht töten, aber er machte mir die Tage zur Hölle. Er flog in Gestalt einer Wespe um mich herum und stach mich, bis mir die Tränen ohnmächtigen Zorns übers Gesicht liefen. Er sang mir Lieder über die Verwesung meiner Mutter vor, zwitscherte süß davon, wie ihr die Augen in den Schädel kullerten und ihr Fleisch fauliger Kot wurde, ja tönte sogar, daß sie und die ermordete Bache sich unter der Erde zu einer Art verrottender Sippschaft zusammengetan hatten, daß selbst meine tote Mutter mich vergessen hatte. Und er verhöhnte mich deinetwegen, Miranda, oh, wie er mich verhöhnte! Er malträtierte mich mit Lügen, behauptete, ich hätte mich am Becken vorsätzlich an dich herangeschlichen in der Absicht, dich zu schänden, der Vogel hätte mich dabei beobachtet. Es gab mir flüsternd alle Kosenamen wieder, die ich Dummkopf hinausgeschrien hatte – in die leere Luft, wie ich meinte – und die er mit den Ohren des Eichhörnchens, das ich Schädling nannte, gehört hatte. Schädlich fürwahr. Eichhörnchenohr, Vogelauge, Zunge summender Wespen: Gefangen im Baum hatte Ariel sich alles geschaffen außer einem Herzen.
    Selbst wenn er mich nicht mit Zwicken und Beißen und brennenden Schmerzen an den Fußsohlen peinigte, ließ Ariel mir keine Ruhe. Er hockte sich über mich auf einen Baum und zeterte mit seiner kratzigen Stimme, bis ich das Schreien kaum mehr zurückhalten konnte. Er erzählte mir lange, nervtötende Geschichten von seiner Herkunft, und jedesmal eine andere. Einmal behauptete er, er sei der Schatten eines Mannes, den meine Mutter mit ihrer Hexenkunst ermordet hatte. Ein andermal gab er an, ein gefallener Engel zu sein, einer von Luzifers rebellischen Heerscharen. Dann wieder sang er mir seltsame Lieder vor, in denen er im brodelnden Innern eines Vulkans zu sich selbst erwacht war, als ein Feuergeist.
    Ein Kobold, ein Dämon, eine Waise von einem anderen Stern, jede Geschichte war anders, was jedoch die unverdrossen plappernde Kreatur nicht störte. Mir war und ist das alles gleichgültig. Wenn es deinen Gott wirklich gibt und er ein Universum mit Wesen wie Ariel darin erschaffen hat, dann ist er ein Herr, wie Prospero einer war: Dann verdient er es, gestürzt und mit seinem Bettzeug erstickt zu werden.
    Die Tage meiner Knechtschaft zogen sich hin. Dein Vater hatte für mich nichts als harte Worte, doch immerhin ließ er es mit wenigen bewenden. Jetzt, wo ihm eine Macht wie Ariel zu Gebote stand, trieb er irgendein hintergründiges Spiel, und er kam selten von seinen Büchern weg. Selbst du bekamst ihn nicht oft zu sehen… und hattest vermutlich auch keine Ahnung, was er plante. In gewisser Hinsicht versklavte er dich genauso wie mich. Das soll kein Sündenerlaß für dich sein, Miranda, aber vielleicht ist es ein mildernder Umstand, wenn dich nach meinem Gericht möglicherweise noch ein anderes erwartet. Und beide sind nicht mehr fern.
    Falls ich tatsächlich jemals ein Tier war – der Funke in mir empört sich gegen den Gedanken –, dann in jener Zeit. Bevor ihr auf meine Insel kamt, war ich keiner Sprache mächtig gewesen, aber ich hatte Hoffnung und Freude und schlichte Lebenslust gekannt; jetzt war das alles dahin. Ich verlor jeden Sinn für etwas anderes als viehische Plackerei, und meine Seele suhlte sich in dumpfem Elend. Ich war wahrhaftig der Lehmkloß.
    Ich kann nicht darüber sprechen. Selbst heute kann ich immer noch nicht darüber sprechen. Tag für Tag verkrümmt und verdreckt an dir mit deinen mitleidigen Blicken vorbeizuhumpeln… ich hätte dich und dein Mitleid ein Dutzendmal getötet, wenn da nicht die Furcht gewesen wäre, was Ariel dann auf Geheiß deines Vaters mit mir machen würde. So elend mein Leben auch war, so war es

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