Die Insel des Magiers
mit seinen ungleichen Armen. Das weiße Mädchen wehrte sich, konnte sich aber nicht aus dem Griff befreien. Überall, wo der Lehmmann sie anfaßte, besudelte er sie mit dunklen Flecken.
Das kann ich nicht zulassen, erklärte Prospero. Er bückte sich und machte die schlanke Tänzerin los, dann zerstampfte er den anderen mit der Ferse. Obwohl mir Tränen ohnmächtiger Wut in die Augen getreten waren, meinte ich zu erkennen, wie an seinem Kopf eine aufquellende Blase platzte und dann ein Loch aufklaffte wie ein schreiender Mund, bevor er unwiderruflich vernichtet wurde.
Siehst du? Es ist aussichtslos. Manche Dinge können nicht zu Höherem erzogen werden, auch wenn wir uns noch so sehr bemühen. Begib dich jetzt in dein Zimmer, oder Ariel wird dich zwingen und dazu Mittel anwenden, die dir nicht gefallen werden.
Weinend kroch ich über die Erde zu dem Schuppen, der einmal mein Zuhause gewesen war, eine Handbreit an Prosperos schwarzen Stiefeln vorbei. Er rührte sich nicht.
Das Gesicht seiner Tochter war vom Fenster verschwunden.
Als ich mich über die Schwelle schleppte, hörte ich Ariel höhnen:
Ban, Ban, Kaliban!
Ein mickriges Untier,
Kein Menschenmann!
Da liegst du nun, Miranda, einen Blick empörter, bedrohter Unschuld übers Gesicht gezogen wie einen Schleier. Unschuld? Selbst wenn du mir nichts als Freundlichkeit erwiesen hättest, selbst wenn du mir so treu gewesen wärst wie die unaufhörlich wiederkehrenden Flüsse dem Meer, wie könnte ich dich leben lassen, wo du mich an jenem Tage gesehen hast?
Sage nichts! In diesem Augenblick ertrage ich es nicht, deine lügnerische Stimme zu hören. Was könntest du mir schon sagen? Daß du bei deinem Vater für mich eintratst? Daß du seine Strenge mir gegenüber durch stilles Flehen, durch töchterliches Einschmeicheln mildertest? Nichts, nichts und weniger als nichts! Solch armselige Hilfe war nur wie Staub im Sturm. Ich klage dich an, Miranda! Wenn je auch nur ein Fingerhut Gerechtigkeit in dir gewesen wäre, hättest du mich mit deinem eigenen Leib vor seinen Schlägen schützen müssen. Du hättest dich auf die scharfen Felsen am Meer stürzen müssen, statt mit anzusehen, wie er mich mißhandelte. Wenn ich eine Tochter hätte, und sie wäre so schwach und verräterisch wie du, dann würde ich sie lebendig in einem tiefen Loch begraben.
Du wußtest es, Miranda. Du wußtest, daß ich nichts Unrechtes getan hatte, und dennoch standst du daneben und sahst zu, wie alles, was ich hatte, mir geraubt und mein Gesicht auf den harten Stein gepreßt wurde. Und meintest gar noch in der Zeit danach, daß ein gelegentliches nettes Wort zu dem Arbeitssklaven, lauwarme Einwände in ein oder zwei Fällen, in denen dein Vater mich beleidigte und bestrafte, ein ungehaltenes Murmeln, wenn Ariel mich mit seiner Folter fast zum Wahnsinn trieb, daß dies ausreichte, um dich von Sünden freizusprechen. Möge dein Gott dich verdammen, Frau! Es gibt keine schändlichere Sünde als halbherzigen, unaufrichtigen Protest. Sei verdammt!
Und dennoch liebte ich dich immer noch. Löst mir dies Rätsel, ihr Geister meiner Insel! Wie einen zerrissenen Schal, der einmal gut genug war, um die Trägerin zu schmücken, jetzt aber dazu benutzt wird, den Schmutz aufzuwischen, warfst du mich beiseite… aber ich liebte dich immer noch. Und liebe dich, Frau, noch heute.
Haß ist harte Arbeit, Miranda. Liebe ist demgegenüber die kleinere Anstrengung. Aber wenn man gleichzeitig liebt und haßt, und in beiden Fällen denselben Gegenstand, dann verstärkt ein Gefühl das andere. So kann sich daraus ein langes Spiel entspinnen.
Ich höre den Ruf des Torwächters draußen. Unsere Zeit neigt sich dem Ende zu, deshalb will ich dir die Aufzählung der Freuden ersparen, die ich tagtäglich im Dienst deines Vaters zu kosten bekam… aber vielleicht ist das ganz gut so: Ich fürchte, die Wonne, diese Jahre noch einmal zu durchleben, könnte mich veranlassen, unseren Abend vorschnell zu beenden. Ich bin randvoll mit finsteren Gedanken, Miranda. Heute nacht wollen sie überfließen… aber gemach, Kaliban, gemach! Alles zu seiner Zeit.
Ich nannte Prospero »Herr«. Ich nannte dich »Herrin«. Selbst wenn wir allein waren, nannte ich dich so, weil ich fürchten mußte, daß der unsichtbare Ariel um uns war und heimlich
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