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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Geratewohl eine Kugel in die Luft, die einen Mastbaum streifte, und schoss noch ein paarmal, bis er sich klarmachte, dass er niemanden niederstreckte. Im Gegenteil, in der Zeit, die man zum Nachladen einer Muskete brauchte, konnte der Feind gemütlich vorbeispazieren und sich eins ins Fäustchen lachen über diesen Hitzkopf, der nur den Vögeln Eindruck machte, die jetzt im Unterdeck lärmten.
    Er lachte also irgendwo. Aber wo? Roberto kehrte zu seiner Zeichnung zurück und sagte sich, dass er aber auch wirklich gar nichts vom Bau eines Schiffes verstand. Die Zeichnung zeigte das Schiff im Profil, also nur in Höhe und Tiefe und Länge, nicht in der Breite. Im Längsschnitt gesehen, ließ das Schiff keinen Raum mehr für weitere Verstecke, aber wenn man es in der Breite bedachte, konnte es sehr wohl sein, dass sich noch Räume zwischen den schon entdeckten verbargen.
    Roberto dachte erst jetzt darüber nach, aber auf diesem Schiff fehlten noch zu viele Dinge. Zum Beispiel hatte er keine weiteren Waffen gefunden. Sicher, die Matrosen konnten sie mitgenommen haben – wenn sie freiwillig von Bord gegangen waren. Aber auf der Amarilli war auch viel Bauholz im Kielraum gewesen, damit man im Falle von Sturmschäden Masten, Ruder und Planken reparieren konnte, während sich hier bloß Kleinholz befand, das erst vor kurzem getrocknet worden war, um das Herdfeuer in der Kombüse zu nähren, aber keinerlei gut abgelagertes Eichen-, Lärchen- oder Tannenholz. Und mit dem Bauholz fehlten auch die Zimmermannsgeräte, Sägen, verschieden geformte Äxte, Hämmer, auch Nägel ...
    Gab es noch andere Kammern? Roberto machte die Zeichnung neu und versuchte sich vorzustellen, wie das Schiff nicht von der Seite betrachtet, sondern von oben aussah, vom Mastkorb aus gesehen. Und kam zu dem Schluss, dass sich im Heck, dessen Bau er sich erneut vor Augen hielt, noch ein Verschlag unter dem Raum mit der Orgel befinden könnte, aus dem man womöglich noch weiter hinunter inden blinden Gang schlüpfen konnte. Nicht groß genug, um alles das zu enthalten, was auf dem Schiff fehlte, aber immerhin ein Verschlag mehr. Wenn in der niedrigen Decke des blinden Ganges eine Falltür war, eine Öffnung, durch die man in diesen neuen Raum gelangte, dann konnte man von dort vielleicht auch zu den Uhren gelangen und weiter ins restliche Schiff.
    Roberto war jetzt sicher, dass der Eindringling nirgendwo anders sein konnte als dort. Er rannte hinunter und kroch in den niedrigen Gang, aber diesmal hielt er das Licht nach oben. Und da war eine Falltür. Er widerstand dem ersten Impuls, sie zu öffnen. Wenn der Eindringling über ihm hockte, würde er ihn erwarten und ihn, wenn er den Kopf hinausstreckte, überwältigen können. Man musste ihn von einer Seite überraschen, von wo er keinen Angriff erwartete, so wie man es in Casale gemacht hatte.
    Wenn es da noch einen Raum gab, musste er an das »Zwiebackmagazin« mit dem Teleskop angrenzen, also von dort aus erreichbar sein.
    Roberto stieg wieder hinauf, trat in den Raum mit den Instrumenten, stieg über sie hinweg und fand sich vor einer Wand, die – wie er erst jetzt bemerkte – nicht aus dem harten Holz der Schiffswand war.
    Es war eine dünne Wand: Wie bei seinem Eindringen in den Raum mit der Orgel schlug er einmal hart zu, und das Holz zersplitterte.
    Der Raum lag in einem schwachen Dämmerlicht, das durch ein kleines Fenster in der konkav gebogenen Rückwand fiel. Und davor, auf einer Strohmatte kauernd, die Knie fast bis zum Kinn hochgezogen, in den vorgestreckten Händen eine Pistole, saß der andere.
    Es war ein alter Mann mit geweiteten Pupillen und einem faltigen Gesicht, umrahmt von einem pfeffer- und salzfarbenen Bärtchen, die spärlichen Haare senkrecht vom Kopf abstehend, der Mund fast zahnlos mit blaurotem Zahnfleisch, der Leib in ein Gewand gehüllt, das einmal schwarz gewesen sein mochte, aber nun mit verblichenen Flecken gespickt war.
    Die Pistole vorstreckend, die er mit zitternden Händen umklammert hielt, als wollte er sich daran festhalten, rief er etwas mit schwacher Stimme. Das erste war etwas auf Deutschoder Holländisch, das zweite – und sicher wiederholte er, was er sagen wollte – in einem ungelenken Italienisch, was darauf hindeutete, dass er die Herkunft seines Gegenübers durch die Lektüre seiner Papiere erraten hatte.
    »Keine Bewegung, oder ich schieß'!«
    Roberto war so überrascht von der Erscheinung, dass er zunächst gar nicht reagierte. Was gut war, denn so

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