Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
musikalischen Intervalle sei von Zahl, Gewicht und Maß abhängig.
Rechts neben den Pfeifen saß eine Amorette, die mit einem Taktstock über einem hölzernen Buch, das sie in der Hand hielt, den Dreiertakt der Melodie von »Daphne« schlug.
Zu Füßen der Pfeifen, ein wenig tiefer, war die Tastatur angebracht, deren Tasten sich den Tönen entsprechend senkten und hoben, als ob sie von unsichtbaren Fingern gedrückt würden. Unter der Tastatur, dort, wo gewöhnlich der Spieler den Blasebalg mit den Füßen betätigt, drehte sich eine horizontale Walze, auf der kleine Zähne oder Dornen staken in einer unvorhersehbar regelmäßigen oder regelmäßig unerwarteten Ordnung, die an die Art und Weise erinnerte, wie sich die Noten auf- und absteigend, mit plötzlichen Pausen, großen weißen Flecken und dann wieder dichten Zusammenballungen schwarzer Köpfe auf einem Notenpapier verteilen.
Unter der Walze verlief eine horizontale Stange mit vielen kleinen Hebeln, die, wenn die Walze sich drehte, nacheinander an ihre Dornen stießen und durch ein halb verborgenes Spiel von Stäben und Drähten die Tasten bewegten – die dann ihrerseits die Luft in die Pfeifen schickten.
Aber das Erstaunlichste war der Grund, warum die Walze sich drehte und die Pfeifen Luft bekamen. Neben der Orgel befand sich eine Art Syphon, ein Glasbehälter, dessen Form an die eines Seidenraupenkokons erinnerte und in dessen Innerem zwei Siebe zu erkennen waren, eins über dem anderen, die ihn in drei unterschiedlich große Kammern teilten. In der unteren Kammer empfing der Behälter einen Wasserstrahl durch einen Schlauch, der aus der offenen Geschützpforte kam, durch die der Raum auch sein Licht erhielt; zweifellos wurde das Wasser mittels einer verborgenen Pumpe direkt aus dem Meer angesogen, aber so, dass es, mit Luft vermischt, in den Glasbehälter gelangte.
Das Wasser strömte sehr kraftvoll in die untere Kammer, als ob es kochte, drehte sich wirbelnd an den Wänden empor und drückte die Luft im Behälter durch die beiden Siebe nach oben. Durch eine Röhre, die vom Scheitel des Glasbehälters zu dem Kasten mit den Pfeifen ging, strömte die herausgedrückte Luft dann in diese und verwandelte sich durchkunstvoll spirituelle Lenkung in Töne. Das Wasser dagegen, das die untere Kammer gefüllt hatte, strömte von dort durch eine kurze Röhre hinaus auf die Schaufeln eines Wasserrads, wie es bei Mühlen benutzt wird, um darunter in eine metallene Wanne abzufließen und von dort durch einen weiteren Schlauch, der zum Sabord führte, zurück ins Meer.
Das Wasserrad drehte eine Stange, die über ein Zahnrad, das mit dem Rand der Walze verzahnt war, ihre Bewegung auf diese übertrug.
Dem betrunkenen Roberto kam dies alles ganz natürlich vor, so dass er sich fast betrogen fühlte, als die Walze sich nun allmählich immer langsamer drehte und die Pfeifen ihre Melodie immer kläglicher pfiffen, bis sie schließlich ganz erstarben, während die Zyklopen und die Amorette ihre Schläge einstellten. Offenbar – obwohl man zu jener Zeit viel vom Perpetuum mobile sprach – konnte die verborgene Pumpe, die den Wasserkreislauf regelte, nach einem ersten Anstoß nur eine gewisse Zeitlang arbeiten, dann waren ihre Kräfte erschöpft.
Roberto wusste nicht, ob er sich mehr über die ausgeklügelte Technik wundern sollte – er hatte schon von ähnlichen Apparaten gehört, die Reigen von Totengerippen oder geflügelten Putten antrieben – oder darüber, dass der Eindringling – denn wer sonst sollte es gewesen sein? – sie gerade an jenem Morgen in Gang gesetzt hatte.
Was wollte der Eindringling ihm damit sagen? Vielleicht dass Roberto von Anfang an unterlegen war? Dass ihm die Daphne noch so viele und so große Überraschungen bereithielt, dass er sein Leben lang versuchen könnte, sie in seine Gewalt zu bringen, ohne es je zu schaffen?
Er erinnerte sich, dass ein Philosoph ihm einmal gesagt hatte, Gott kenne die Welt besser als wir, da er sie geschaffen habe. Und um der Kenntnis Gottes wenigstens ein bisschen näherzu- kommen, müsse man sich die Welt wie ein großes Gebäude vorstellen und versuchen, es nachzubauen. Das war's, was Roberto tun musste: Um die Daphne kennenzulernen, musste er sie in Gedanken nachbauen.
Er setzte sich also hin und zeichnete das Profil des Schiffes, wobei er sich sowohl am Bau der Amarilli orientierte wie andem, was er bisher von der Daphne gesehen hatte. Also, da hätten wir, sagte er sich, hinten oben die Kajüten
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