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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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überlassen werden, wie berichtet im Buche des Messer Milione ...«
    »Siehst du? Wie ich sage: Wann ihr eure Philosophia in der Taverne betreibet, sind eure Gedancken immer nur solche der Libido! Und übrigens, hättest du dir nicht diese Gedancken in den Kopf gesetzet, so köntest du ebendieselbichte Reise auch machen, wann Gott dir die Gnade gewährte, dich umb die Erde kreysen zu lassen, was keine mindere Gnade wär, als dich am Himmel schweben zu lassen.«
    Roberto war nicht überzeugt, aber er wusste nichts mehr zu erwidern. Darauf nahm er den längsten Umweg, ausgehend von anderen irgendwo aufgeschnappten Argumenten, die ihm ebenfalls nicht im Gegensatz zur Idee eines fürsorglichen Gottes zu stehen schienen, und fragte Pater Caspar, ob er einverstanden sei mit der Ansicht, dass die Natur als großes Theater genommen werden könnte, in welchem wir immer nur das sehen, was der Autor inszeniert hat.
    Von unserem Standpunkt aus sehen wir das Theater nicht so, wie es wirklich ist: Die Dekorationen und Maschinen sind so hergerichtet, dass sie von weitem einen schönen Effekt ergeben, während die Räder und Seile und Gegengewichte, mit denen die Bewegungen erzeugt werden, unseren Blicken verborgen sind. Wenn aber im Parkett ein Fachmann säße, könnte er erraten, wie man es bewerkstelligt hat, dass ein mechanischer Vogel sich plötzlich zum Fluge erhebt. Und so müsste es auch ein Philosoph vor dem Schauspiel des Universums können. Gewiss ist die Schwierigkeit für den Philosophen größer, da in der Natur die Räder und Seile so gut verborgen sind, dass man sich lange gefragt hat, wer sie bewegt. Und doch ist es auch in diesem unserem großen Theater so, dass Phaeton, wenn er zur Sonne aufsteigt, nur deshalb fliegen kann, weil er an Seilen emporgezogen wird, indes ein Gegengewicht nach unten sinkt.
    Ergo (triumphierte Roberto schließlich, als er den Grund wiederfand, aus dem er diese ganze lange Abschweifung begonnen hatte), ergo sehen wir auf der Bühne die Sonne, die sich dreht, aber die Maschinerie ist von ganz anderer Natur, und das können wir auf den ersten Blick gar nicht erkennen. Wir sehen das Schauspiel, aber nicht den Flaschenzug, der Phoebus bewegt, denn eigentlich leben wir ja sogar auf dem Rad dieses Flaschenzugs – und hier verhedderte sich Roberto, denn wenn man die Metapher des Flaschenzugs akzeptiert, entgleitet einem die des Theaters und die ganze Argumentation wird so überspitzt oder pointu , wie Saint-Savin gesagt hätte, dass sie alle Schärfe verliert.
    Pater Caspar erwiderte, wenn der Mensch eine Maschinerie zum Singen bringen wolle, müsse er Holz oder Metall in geeigneter Weise bearbeiten und Löcher hineinbohren oder Saiten daraufspannen und sie mit Bögen reiben oder sogar – wie er es auf der Daphne getan habe – eine wassergetriebene Apparatur erfinden, während wir, wenn wir die Kehle einer Nachtigall untersuchen, keinerlei Maschinerie darin finden, woran man sehen könne, dass Gott eben andere Wege gehe als wir.
    Dann fragte er, ob Roberto, wenn er so gern unendlich viele Sonnensysteme am Himmel rotieren sehe, nicht auch hätte annehmen können, dass jedes dieser Systeme Teil einesgrößeren Systems sei, das seinerseits innerhalb eines noch viel größeren Systems rotiere, et cetera, et cetera – denn wenn man von solchen Prämissen ausginge, ergehe es einem wie der Jungfrau, die einem Verführer erliege: zuerst mache sie ihm ein kleines Zugeständnis, doch bald müsse sie ihm mehr gestatten und dann immer mehr, und so wisse man nie, bis zu welchen Extremen man auf diesem Weg noch gelange.
    Sicher, versetzte Roberto, man könne an alles denken. An Wirbel ohne Planeten, an Wirbel, die aneinanderstoßen, an Wirbel, die nicht rund, sondern sechseckig sind, so dass sich an jeder Seite ein weiterer Wirbel bildet und alle zusammen sich wie die Waben eines Bienenstocks fügen, oder an Wirbel wie Polygone, die einander stützen und dabei Leerstellen lassen, welche die Natur mit kleineren Wirbeln füllt, die alle miteinander verzahnt sind wie die Zahnräder eines Uhrwerks – wobei sich das Ganze am Himmel des Universums wie ein riesiges Rad dreht, in dessen Innerem sich andere Räder drehen, jedes mit noch kleineren Rädern, die sich in ihrem Innern drehen, und dieses ganze große Gebilde bewegt sich am Himmel auf einer riesigen Umlaufbahn, die Jahrtausende dauert, vielleicht kreisend um einen anderen Wirbel von Wirbeln von Wirbeln ... Und hier überkam Roberto ein solches

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