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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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nicht, keinerlei Eifersucht zu empfinden: In jenem Lande ist das, was nicht unser ist, in gewisser Weise doch unser, und was in unserer Welt unser war und uns genommen worden ist, existiert dort nicht – auch wenn das, was dort existiert, dem ähnlich sieht, was wir an Existierendem nicht haben oder verloren haben ...
    So würde Roberto nun also den Roman von Ferrante und dessen Liebesbeziehung mit Lilia schreiben (oder sich ausdenken) müssen, und erst indem er jene Romanwelt erfand, würde er den beißenden Schmerz vergessen, den ihm die Eifersucht in der wirklichen Welt verursachte.
    Mehr noch, überlegte Roberto: Um zu begreifen, was mir geschehen ist und wie ich in die Falle geraten bin, die Mazarin mir gestellt hat, müsste ich die Chronik jener Geschehnisse rekonstruieren, um ihre Gründe und geheimen Motive zufinden. Aber gibt es etwas Ungewisseres als die Chroniken, die wir lesen, in denen, wenn zwei Autoren von derselben Schlacht berichten, die Unstimmigkeiten so groß sind, dass wir fast meinen, es mit zwei verschiedenen Schlachten zu tun zu haben? Und gibt es andererseits etwas Gewisseres als einen Roman, an dessen Ende jedes Rätsel seine Erklärung nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit findet? Der Roman erzählt Dinge, die vielleicht nicht wirklich geschehen sind, aber sehr gut hätten geschehen können. Mir meine Missgeschicke in Form eines Romans zu erklären heißt, mich zu vergewissern, dass es in diesem Wirrwarr zumindest eine Möglichkeit gibt, das Knäuel aufzudröseln, und dass ich also nicht einem Alptraum erlegen bin. Eine Idee, die auf hinterlistige Weise antithetisch zur ersten ist, denn auf diese Art würde sich die Romangeschichte meiner Missgeschicke über deren reale Geschichte legen müssen.
    Und schließlich, überlegte Roberto weiter, ist meine Geschichte die einer Liebe zu einer Frau; und nur der Roman, gewiss nicht die Chronik, befasst sich mit Liebesgeschichten, und nur der Roman (niemals die Chronik) bemüht sich zu erklären, was jene Töchter Evas denken und fühlen, die doch von den Tagen des irdischen Paradieses bis zur Hölle der Höfe unserer Tage so viel Einfluss auf das Schicksal unserer Gattung hatten und haben.
    Lauter vernünftige Argumente, wenn man jedes für sich betrachtet, aber nicht, wenn man sie alle zusammennimmt. Denn es gibt einen Unterschied zwischen dem, der handelt, indem er einen Roman schreibt, und dem, der unter der Eifersucht leidet. Ein Eifersüchtiger genießt es, sich auszumalen, was er befürchtet, es könnte geschehen sein – wobei er sich aber doch weigert zu glauben, dass es wirklich geschehen ist – während ein Romanverfasser zu jedem Kunstmittel greift, um zu erreichen, dass der Leser es nicht nur genießt, sich etwas vorzustellen, was nicht wirklich geschehen ist, sondern irgendwann auch vergisst, dass er einen Roman liest, und glaubt, es sei alles wirklich geschehen. Es ist schon schmerzlich genug für einen Eifersüchtigen, einen von einem anderen geschriebenen Roman zu lesen, in dem ihm scheint, dass alles, was passiert und gesagt wird, sich auf seine Geschichte bezieht. Wie also erst für einen Eifersüchtigen, der seineGeschichte selbst zu erfinden vorgibt! Sagt nicht ein Sprichwort, dass der Eifersüchtige den Schatten Körper verleiht? So schattenhaft also die Figuren eines Romans auch sein mögen, da der Roman ein leiblicher Bruder der Chronik ist, erscheinen diese Schatten dem Eifersüchtigen immer zu körperhaft, besonders wenn sie, anstatt die Schatten eines andern zu sein, seine eigenen sind.
    Dass übrigens die Romane trotz aller Vorzüge auch ihre Mängel haben, hätte Roberto wissen müssen. Wie die Medizin auch die Lehre der Gifte umfasst, wie die Metaphysik mit unangebrachten Subtilitäten die Dogmen der Religion verwirrt, wie die Ethik die Großartigkeit befördert (die nicht jedem guttut), die Astrologie den Aberglauben begünstigt, die Optik täuscht, die Musik das Liebesbegehren anstachelt, die Geometrie das ungerechte Herrschen ermuntert und die Mathematik den Geiz – so öffnet die Kunst des Romans, obwohl sie uns warnt, dass sie uns Fiktionen vorsetzt, eine Tür im Palast der Absurdität, die sich, hat man sie einmal leichtsinnigerweise durchschritten, hinter uns schließt.
    Doch es steht nicht in unserer Macht, Roberto davon abzuhalten, diesen Schritt zu tun, denn wir wissen mit Sicherheit, dass er ihn getan hat.

 
    29
    DIE SEELE FERRANTES
     
    V on welchem Punkt an sollte er die Geschichte Ferrantes

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