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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Er war nicht so unbesonnen, ihnen jeden Fehler, den er gemacht hatte, aufzubürden, aber wenn der Einsatz hoch war, sorgte er stets dafür, dass er einen Dummkopf neben sich hatte (den seine Eitelkeit dazu verführte, sich in vorderster Linie zu zeigen, während er selbst im Hintergrund blieb), dem dann für den Fall, dass die Sache schiefging, zwar nicht er, aber die anderen die Schuld geben würden.
    Kurzum; alles, was ihm irgendwie zum Vorteil gereichen konnte, machte er demonstrativ selbst, und was ihm Nachteile einbringen konnte, ließ er von anderen machen.
    Beim Vorzeigen seiner Tugenden (die wir besser verfluchte Geschicklichkeiten nennen sollten) wusste er, dass es besser ist, nur eine Hälfte zu zeigen und die andere bloß anzudeuten, als das Ganze offenzulegen. Manchmal ließ er das Vorzeigen auch bloß in einem beredten Schweigen bestehen, in einer beiläufigen Demonstration seiner Fähigkeiten, und er war geschickt genug, nie alles mit einem Mal aufzudecken.
    Je weiter er aufstieg und sich mit Leuten höheren Standes maß, desto geschickter wurde er im Nachahmen ihrer Gesten und ihrer Sprache, doch er benutzte diese Geschicklichkeit nur bei Leuten in niedrigerer Position, die er für irgendeinen illegalen Zweck gewinnen wollte; bei Höhergestellten achtete er stets darauf, so zu tun, als ob er nicht Bescheid wüsste, und an ihnen demonstrativ zu bewundern, was er längst wusste.
    Er erledigte jeden schmutzigen Auftrag, den seine Auftraggeber ihm gaben, aber nur, wenn das Böse, das er dabei tun musste, nicht von so großer Scheußlichkeit war, dass sie Abscheu davor bekommen konnten. Wenn sie Untaten solchenAusmaßes von ihm verlangten, lehnte er ab; erstens, damit sie nicht meinten, eines Tages werde er fähig sein, das Gleiche mit ihnen zu tun, und zweitens – wenn die Ruchlosigkeit nach Rache im Angesicht Gottes schrie –, um nicht zum unerwünschten Zeugen ihrer Reue zu werden.
    Nach außen gab er sich fromm, aber in Wahrheit schätzte er nur den gebrochenen Glauben, die zertretene Tugend, die Eigenliebe, die Undankbarkeit und die Verachtung alles Heiligen. Er fluchte Gott in seinem Herzen und glaubte, dass die Welt durch Zufall entstanden sei, und dennoch vertraute er auf ein Schicksal, das bereit war, seinen Lauf zugunsten dessen zu ändern, der es zu seinem Vorteil zu wenden weiß.
    Zur Aufheiterung seiner seltenen Ruhestunden verkehrte er nur mit käuflichen Hausfrauen, zügellosen Witwen und liederlichen Mädchen. Aber niemals ausschweifend, denn bei seinen Machenschaften verzichtete er oft auf unmittelbare Belohnung, um sich gleich in die nächste Machenschaft zu stürzen, als gönnte ihm seine Ruchlosigkeit keine Ruhe.
    Mit einem Wort, er lebte Tag für Tag wie ein Mörder, der reglos hinter einem Vorhang lauert, wo die Klingen seiner Dolche nicht schimmern. Er wusste, dass die erste Erfolgsregel hieß, die Gelegenheit abzuwarten, aber er litt, weil ihm die Gelegenheit noch so fern schien.
    Dieser finstere und verbissene Ehrgeiz raubte ihm allen Seelenfrieden. Da er überzeugt war, dass Roberto den Platz usurpiert hatte, der eigentlich ihm zustand, ließ ihn jede Belohnung unbefriedigt, und die einzige Form, die das Gute und das Glück in den Augen seiner Seele annehmen konnten, war das Unglück seines Bruders und der Tag, an dem er es würde herbeiführen können. Im übrigen ließ er in seinem Kopf nebulöse Riesen gegeneinander kämpfen, und es gab kein Meer, kein Land und keinen Himmel, in denen er Zuflucht und Ruhe fand. Was er hatte, beleidigte ihn, und was er haben wollte, bereitete ihm Folterqualen.
    Er lachte nie, es sei denn in der Taverne, um einen seiner ahnungslosen Spitzel betrunken zu machen. Doch in der Abgeschiedenheit seines Zimmers kontrollierte er sich jeden Morgen vor dem Spiegel, um zu sehen, ob die Art, wie er sich bewegte, nicht seine Unrast verraten könnte, ob sein Blick nicht zu unverschämt war, ob der zu tief geneigte Kopf nichtZögern signalisierte oder ob die zu tiefen Furchen auf seiner Stirn ihn nicht verbittert erscheinen ließen.
    Wenn er seine Exerzitien unterbrach und sich müde in später Nacht seine Masken abnahm, sah er sich, wie er wirklich war – ha, und hier konnte Roberto sich nicht enthalten, Verse eines großen Landsmannes zu zitieren, die er vor einigen Jahren gelesen hatte:
     
    In seinen Augen, wo Traurigkeit wohnt und Tod,
    flammt trübe ein rötliches Licht,
    die schrägen Blicke und die verdrehten Pupillen
    muten an wie Kometen, wie

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