Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
aufnehmen? Roberto hielt es für am besten, von jenem Tag auszugehen, an dem Ferrante nach seinem Verrat der Franzosen, auf deren Seite er in Casale zu kämpfen vorgetäuscht hatte, wobei er sich als Hauptmann Gambero ausgab, ins spanische Lager geflohen war.
    Vielleicht war er begeistert von einem großen Herrn empfangen worden, der ihm versprochen hatte, ihn am Ende jenes Krieges nach Madrid mitzunehmen. Und dort hatte dann sein Aufstieg zu den äußeren Kreisen des spanischen Hofes begonnen, bei dem er lernte, dass die Tugend der Herrscher ihre Willkür ist, dass die Macht ein unersättliches Monstrum ist und dass man ihr als unterwürfiger Sklave dienen musste, um von jedem Krümel zu profitieren, der von ihren Tischen fiel, und ihn als Gelegenheit zu einem langsamen und gewundenen Aufstieg zu nutzen – zuerst als Scherge, gedungener Mörder und Spitzel, dann als angeblicher Edelmann.
    Ferrante konnte nur von einer wachen, wenngleich stets aufs Böse gerichteten Intelligenz sein, und so hatte er in jenem Milieu sehr rasch gelernt, wie man sich verhalten musste – soll heißen, er hatte sich jene Prinzipien der höfischen Weltklugheit angeeignet, mit denen Roberto in Casale von Herrn de Salazar traktiert worden war.
    Er hatte die eigene Mittelmäßigkeit kultiviert (die Niedrigkeit seiner unehelichen Geburt), ohne sich davor zu fürchten, in den mittelmäßigen Dingen hervorragend zu sein, um zu vermeiden, dass er eines Tages in den hervorragenden Dingen mittelmäßig war.
    Er hatte begriffen, dass man, wenn man nicht das Fell des Löwen anlegen kann, in das des Fuchses schlüpfen muss,denn vor der Sintflut haben sich mehr Füchse als Löwen gerettet. Jede Kreatur hat ihre eigene Weisheit, und vom Fuchs hatte er gelernt, dass ein Spiel mit offenen Karten weder Nutzen bringt noch Vergnügen bereitet.
    Wenn er aufgefordert wurde, eine Verleumdung unter der Dienerschaft zu verbreiten, auf dass sie nach und nach an die Ohren der Herrschaft dringe, und er wusste sich der Gewogenheit einer Kammerzofe sicher, so beeilte er sich zu sagen, er werde es in der Taverne beim Kutscher versuchen; und wenn der Kutscher sein Zechgenosse in der Taverne war, behauptete er mit einverständigem Lächeln, er wisse schon, wie er sich bei der und der klatschsüchtigen Stubenmagd Gehör verschaffen könne. Da seine Auftraggeber nicht wussten, wie er vorging und wie er den Auftrag ausführen würde, waren sie ihm gegenüber stets ein wenig im Nachteil, und Ferrante wusste, dass, wer seine Karten nicht sofort aufdeckt, die anderen in Spannung hält. Auf diese Weise umgibt man sich mit einer geheimnisvollen Aura, und genau diese Undurchschaubarkeit ruft bei den anderen Respekt hervor.
    Beim Liquidieren seiner Feinde, die anfangs Pagen und Diener waren, dann Edelmänner, die ihn für ihresgleichen hielten, hatte er sich zur Regel gemacht, immer seitwärts zu blicken und nie nach vorn. Der Umsichtige kämpft mit gut einstudierten Kniffen und Winkelzügen und handelt nie in der vorausgesehenen Weise. Wenn er zu einer Bewegung ansetzte, tat er es nur, um zu täuschen, wenn er gewandt eine Geste in die Luft zeichnete, operierte er anschließend in einer unvermuteten Weise, immer darauf bedacht, die gezeigte Absicht zu dementieren. Er griff nie an, wenn der Gegner im Vollbesitz seiner Kräfte war (dann bezeugte er ihm vielmehr Freundschaft und Achtung), sondern nur, wenn der andere sich wehrlos zeigte, und dann brachte er ihn zu Fall mit der Miene dessen, der zu Hilfe eilt.
    Er log oft, aber nicht unüberlegt. Er wusste, dass er, um glaubhaft zu sein, allen vorführen musste, dass er manchmal die Wahrheit sagte, wenn sie ihm schadete, und sie manchmal verschwieg, wenn sie ihm Lob hätte einbringen können. Andererseits war er bemüht, bei den einfachen Leuten den Ruf eines ehrlichen Mannes zu erlangen, so dass die Kunde davon an die Ohren der Mächtigen drang. Er war überzeugt,dass es falsch wäre, gegenüber Gleichrangigen zu simulieren, aber dass es tollkühn wäre, es gegenüber Höherrangigen nicht zu tun.
    Dennoch handelte er auch nicht zu aufrichtig und jedenfalls nicht immer, da er fürchtete, dass man diese seine Gleichförmigkeit sonst bemerken und eines Tages seine Handlungsweise voraussehen könnte. Doch er übertrieb es auch nicht mit der Doppelzüngigkeit, da er fürchtete, dass man seine Täuschung nach dem zweiten Mal entdecken würde.
    Um klug zu werden, übte er sich darin, die Törichten zu ertragen, mit denen er sich umgab.

Weitere Kostenlose Bücher