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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Erscheinen und das Verschwinden der Sonne vorbereitet. Vielleicht wechseln auf dem Mond, wo die Luft viel dünner ist, die Tage und Nächte viel unvermittelter. Die Sonne erhebt sich mit einem Schlag am Horizont, wie wenn ein Vorhang aufgeht. Und abends fällt man mit einem Schlag aus dem gleißendsten Licht in schwärzeste Finsternis. Auch dürfte es dann auf dem Mond keinen Regenbogen geben, der ja ein Effekt des in der Luft zerstiebenden Wasserdampfs ist. Aber vielleicht haben sie dort ja auch aus denselben Gründen weder Regen noch Donner, noch Blitze.
    Und wie sind die Bewohner der sonnennächsten Planeten? Hitzig und wild wie die Mohren, aber viel spiritueller als wir. In welcher Größe sehen sie die Sonne? Wie ertragen sie ihre Helligkeit? Vielleicht schmelzen dort die Metalle in freier Natur und fließen als Ströme.
     
    Aber gibt es wirklich unendlich viele Welten? Eine solche Frage hatte in Paris einmal zu einem Duell geführt. Der Kanonikus von Digne sagte, er wisse es nicht. Beziehungsweise das Studium der Physik dränge ihn, es zu bejahen im Gefolge des großen Epikur. Das Universum könne nur unendlich sein. Atome, die sich im Leeren tummeln. Dass es Körper gebe, bezeugten uns die Sinne. Dass es die Leere gebe, bezeuge uns die Vernunft. Wie und wo sonst sollten sich die Atome bewegen? Ohne Leere keine Bewegung, es sei denn, die Körper durchdrängen sich gegenseitig. Es wäre doch lächerlich anzunehmen, dass, wenn eine Fliege mit ihrem Flügelschlag eine Luftpartikel verschöbe, diese ihrerseits eine andere vor sich herschöbe und diese wiederum eine andere, so dass am Ende das Zucken eines Flohbeinchens, von Atom zu Atom weitergegeben, auf der anderen Seite der Welt eine Beule verursachte!
    Wenn andererseits die Leere unendlich und die Zahl der Atome endlich wäre, könnten diese sich unaufhörlich in alle Richtungen bewegen, ohne sich jemals anzustoßen (so wie zwei Menschen sich niemals begegnen würden, außer durch unwahrscheinlichsten Zufall, wenn sie in einer endlosen Wüste umherwanderten), und würden sich nie zusammenfügen. Und wenn umgekehrt die Leere endlich und die Zahl derKörper unendlich wäre, könnte die Leere die Körper nicht fassen.
    Freilich würde es genügen, an eine endliche Leere mit einer endlichen Zahl von Atomen zu denken. Das wäre die klügste Annahme, hatte der Kanonikus gesagt. Warum sollte Gott gezwungen sein, wie ein Theaterdirektor immerzu neue Schauspiele zu produzieren? Er manifestiere seine Freiheit in Ewigkeit durch die Schöpfung und Aufrechterhaltung einer einzigen Welt. Es gebe keine Argumente gegen die Vielzahl der Welten, aber es gebe auch keine dafür. Gott, der da war, bevor es die Welt gab, habe eine ausreichend große Zahl von Atomen in einem ausreichend großen Raum geschaffen, um daraus sein Meisterwerk entstehen zu lassen. Zu seiner unendlichen Vollkommenheit gehöre auch das Genie der Begrenzung.
    Um zu sehen, ob und wie viele Welten es in einem toten Ding gab, ging Roberto in das kleine Museum der Daphne und verteilte alle Dinge, die er dort fand, wie lauter Schienbein- oder Kieferknochen vor sich auf dem Deck: Fossilien, Tongefäße, Fischgräten. Er ließ den Blick von einem zum anderen gleiten und sinnierte weiter aufs Geratewohl über den Zufall und die Zufälligkeiten.
    Wer sagt mir denn, sagte er sich, dass Gott zur Begrenzung neigt, wenn die Erfahrung mir immerfort neue Welten enthüllt, sowohl oben wie unten? Es könnte doch sein, dass nicht Gott, sondern die Welt ewig und ohne Ende ist und es immer schon war und immer sein wird, in einer unaufhörlichen und immer neuen Zusammenstellung ihrer unzähligen Atome in einer unendlichen Leere, nach Gesetzen, die ich noch nicht kenne, durch unvorhersehbare, aber geregelte Zickzackbewegungen der Atome, die andernfalls wie verrückt herumrasen würden. Und wenn es so wäre, dann wäre die Welt identisch mit Gott. Gott wäre aus der Ewigkeit entstanden als Universum ohne Grenzen, und ich wäre seinem Gesetz unterworfen, ohne zu wissen, welches es ist.
    Dummkopf, sagen einige: Du kannst von der Unendlichkeit Gottes reden, weil du nicht gehalten bist, sie mit deinem Verstand zu erfassen, sondern nur, an sie zu glauben, so wie man an ein Mysterium glaubt. Aber wenn du von Naturphilosophie reden willst, musst du diese unendliche Welt auch begreifen, und das kannst du nicht.
    Mag sein. Aber stellen wir uns einmal vor, die Welt wäre voll und endlich. Versuchen wir nun, das Nichts zu denken, das dann

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