Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
und entstellten Gesichtern. So ließen die Leibgardisten des Kardinals, sonst Männer von Eisen, ihre Waffen fallen und erflehten die Gnade des Himmels von denen, die sie nun für Ausgeburten der Hölle hielten, doch diese schlugen sie erst mit Knüppeln nieder, stürzten sich dann auf die Überlebenden und bearbeiteten sie mit Händen und Fäusten und Zähnen, bissen ihnen die Kehle durch, zerfleischten sie mit den Nägeln, tobten ihre Wut an ihnen aus und wüteten sogar noch gegen die Toten, einige sah Ferrante, wie sie eine Brust aufschlitzten, das Herz herausrissen und es mit lautem Siegesgeheul verschlangen.
Als letzter Überlebender blieb Biscarat, der sich wie ein Löwe geschlagen hatte. Als er sich besiegt sah, stellte er sich rücklings an die Brüstung, zog mit dem blutigen Degen eine Linie auf dem Boden und rief: »Hier wird Biscarat sterben, als letzter von denen, die mit ihm sind!«
Doch in dem Augenblick erschien auf der Treppe ein Blinder mit einem Holzbein, der eine Axt in der Hand hielt, machte durch einen Wink dem Gemetzel ein Ende und befahl, Biscarat zu fesseln. Dann erblickte er Ferrante, den er an ebenjener Maske erkannte, die ihn hätte unerkennbar machen sollen, begrüßte ihn mit einer weitausholenden Geste der bewaffneten Hand, als wollte er mit der Feder eines imaginären Hutes den Boden fegen, und sagte: »Mein Herr, Ihr seid frei.«
Er zog eine Botschaft aus dem Wams, deren Siegel Ferrante sofort erkannte, und überreichte sie ihm.
Sie war von Lilia, die ihm schrieb, er solle über jenes abstoßende, aber zuverlässige Heer verfügen und sie dort erwarten, wo sie bei Morgengrauen eintreffen werde.
Als erstes ließ Ferrante, nachdem er von seiner Maske befreit worden war, die Piraten aus ihren Verliesen befreien und schloss einen Pakt mit ihnen. Sie sollten das Schiff wieder in Besitz nehmen und ohne Fragen zu stellen unter seinem Kommando in See stechen. Zum Lohn würden sie die Hälfte eines unermesslichen Schatzes bekommen. Wie es seine Art war, dachte er gar nicht daran, sein Wort zu halten. Sobald er Roberto gefunden hatte, würde es genügen, die eigene Mannschaft im nächsten Hafen anzuzeigen, dann würden alle aufgeknüpft werden, und er wäre der alleinige Herr des Schiffes.
Die Bettler brauchte er nicht mehr, und ihr Anführer sagte ihm als loyaler Mann, dass sie den Lohn für die Unternehmung schon bekommen hatten. Er wollte die Gegend so rasch wie möglich verlassen. Sie zerstreuten sich ins Hinterland und kehrten, bettelnd von Dorf zu Dorf weiterziehend, zurück nach Paris.
Es war nicht schwer, ein im Hafen des Forts vertäutes Boot zu besteigen, zum Schiff hinüberzufahren und die beiden einzigen Männer, die es bewachten, ins Meer zu werfen. Bis-carat wurde im Kielraum angekettet, denn er war eine Geisel, die man vielleicht noch brauchen konnte. Ferrante gönnte sich einen kurzen Schlaf und war vor Morgengrauen wieder am Ufer, rechtzeitig zum Empfang einer Kutsche, der Lilia entstieg, in ihrer Männerkleidung schöner denn je.
Roberto fand, es werde ihm größere Qualen bereiten, wenn er sich ausdachte, dass die beiden einander zurückhaltend begrüßten, damit die Piraten nichts merkten und glaubten, sie nähmen einen jungen Edelmann an Bord.
Sie fuhren zum Schiff zurück, Ferrante kontrollierte noch einmal, ob alles zur Abfahrt bereit war, und begab sich, als der Anker gelichtet war, in die Kajüte, die er für den Gast hatte herrichten lassen.
Dort erwartete sie ihn, erwartete ihn mit Augen, die nichts anderes verlangten, als von ihm geliebt zu werden, in der fließenden Pracht ihrer nun frei auf die Schultern fallendenHaare, bereit zum freudigsten aller Opfer. Oh, irrende Haare, goldene und angebetete Haare, chiome dorate e adorate , geringelte Haare, die ihr flieget und scherzet und scherzend irregeht – stöhnte Roberto für Ferrante ...
Ihre Gesichter näherten sich einander, um Küsse zu ernten aus einer uralten Saat von Seufzern, und in dem Augenblick berührte Roberto in Gedanken jene fleischfarben rosige Lippe. Ferrante küsste Lilia, und Roberto stellte sich schaudernd vor, er beiße in jene so täuschend echt aussehende Koralle. Da aber fühlte er, dass ihm die Angebetete gleich einem Windhauch entglitt, er verlor ihre milde Wärme, die er für einen Augenblick glaubte gespürt zu haben, und sah sie eiskalt in einem Spiegel, in anderen Armen, in einem fernen Brautbett auf einem anderen Schiff.
Zum Schutz der Liebenden ließ er einen Vorhang von
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