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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Antipoden existierenund dass ich, entgegen der Meinung von einst sehr klugen Leuten, hier nicht kopfunten gehe. Die Bewohner dieser Welt sitzen einfach im Heck und wir im Bug desselben Schiffes, auf dem wir beide fahren, ohne etwas voneinander zu wissen.
    Ebenso ist heute die Kunst des Fliegens noch unbekannt, und doch – folgt man einem gewissen Herrn Goodwin, von dem mir Doktor d'Igby erzählt hat – wird man eines Tages auf den Mond fliegen, so wie man nach Amerika gesegelt ist, obwohl vor Kolumbus niemand gedacht hat, dass jener Kontinent existierte noch je so genannt werden könnte.
     
    Die Dämmerung war dem Abend gewichen und dann der Nacht. Der Mond stand jetzt voll und rund am Himmel, und Roberto konnte die Flecken erkennen, in denen die Kinder und die Ignoranten den Mund und die Augen eines pausbäckigen Gesichts sehen wollen.
    Um Pater Caspar zu provozieren (in welcher Welt, auf welchem Planeten der Gerechten mochte der Gute jetzt sein?), hatte Roberto von Mondbewohnern gesprochen. Aber kann der Mond wirklich bewohnt sein? Warum nicht, es ist wie bei Saint-Denis: Was wissen wir Menschen schon von der Welt, die dort oben sein kann?
    So argumentierte Roberto: Wenn ich auf dem Mond stünde und einen Stein hochwürfe, würde der vielleicht auf die Erde stürzen? Nein, er würde auf den Mond zurückfallen. Ergo ist der Mond, wie jeder andere Planet oder Stern, eine Welt, die eine Mitte und eine Peripherie hat, und diese Mitte zieht alle Körper an, die sich im Herrschaftsbereich dieser Welt befinden. So wie es auf der Erde geschieht. Und warum könnte dann nicht auch alles andere auf dem Mond so sein wie auf der Erde?
    Es gibt eine Atmosphäre, die den Mond umhüllt. Hat nicht am Palmsonntag vor vierzig Jahren, wie mir erzählt worden ist, jemand Wolken auf dem Mond gesehen? Sieht man dort nicht ein großes Zittern, wenn eine Mondfinsternis bevorsteht? Und was ist das anderes als der Beweis, dass es dort Luft gibt? Die Planeten dampfen, die Sterne auch – was sonst wären die Flecken, die es auf der Sonne geben soll und aus denen die Sternschnuppen kommen?
    Und sicher gibt es auf dem Mond auch Wasser. Wie sonsterklären sich seine Flecken, wenn nicht als Abbilder von Seen (hat doch sogar schon jemand gemeint, dass diese Seen künstliche seien, gleichsam ein Werk von Menschenhand, weil sie so regelmäßig geformt und in gleichen Abständen verteilt sind)? Wenn andererseits der Mond nur als großer Spiegel konzipiert wäre, der dazu dienen sollte, das Licht der Sonne auf die Erde zu reflektieren, warum hätte der Schöpfer dann diesen Spiegel mit Flecken besudeln sollen? Also sind jene Flecken keine Unvollkommenheiten, sondern Vervollkommnungen, also Teiche, Seen oder Meere. Und wenn es dort oben Wasser und Luft gibt, dann gibt es auch Leben.
     
    Vielleicht ein Leben von anderer Art als das unsere. Vielleicht schmeckt das Wasser dort was weiß ich? – nach Süßholz, nach Kardamom, womöglich nach Pfeffer. Wenn es unendlich viele Welten gibt, beweist das nur das unendliche Ingenium des Großen Ingenieurs unseres Universums, aber dann gibt es auch keine Grenze für diesen Großen Erfinder. Er kann überall bewohnte Welten geschaffen haben, aber mit immer anders gearteten Kreaturen als Bewohner. Vielleicht sind die Sonnenbewohner sonniger, heller und erleuchteter als wir Erdenbewohner, die wir erdenschwer sind, und die Mondbewohner wären dann irgendwie dazwischen. Auf der Sonne leben Wesen, die ganz Form sind oder Akt, wenn man lieber so will, auf der Erde solche aus bloßen Potenzen, die sich entwickeln, und auf dem Mond sind sie in medio fluctuantes, also mit anderen Worten ziemlich lunatisch ...
    Könnten wir in der Luft des Mondes leben? Vielleicht nein, vielleicht würde sie uns schwindlig machen; andererseits können aber auch die Fische nicht in unserer Luft leben und die Vögel nicht in jener der Fische. Die Mondluft muss reiner als unsere sein, und da unsere Luft aufgrund ihrer Dichte als natürliche Linse wirkt, die die Strahlen der Sonne filtert, müssen die Mondbewohner die Sonne in einer ganz anderen Klarheit sehen. Die Morgen- und Abenddämmerung, die uns Helligkeit geben, wenn die Sonne noch nicht oder nicht mehr da ist, sind ein Geschenk unserer Luft, die, weil sie reich an Unreinheiten ist, das Licht der Sonne einfängt und weiterleitet; es ist ein Licht, das wir eigentlich nicht haben dürften und das uns als Dreingabe geschenktwird. Aber durch jene Strahlen werden wir langsam auf das

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