Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
ich als Illusion meiner selbst? Und habe ich erst alles verlieren und in diesen verlorenen Winkel der Antipoden geraten müssen, um zu begreifen, dass es nichts zu verlieren gibt? Aber wenn ich das begreife, gewinne ich dann nicht womöglich alles, da ich der einzige denkende Punkt werde, in dem das Universum seine eigene Illusion erkennt?
Jedoch wenn ich denke, heißt das nicht, dass ich eine Seele habe? Oh, welch ein Wirrwarr! Das Ganze setzt sich aus lauter Nichts zusammen, aber um das zu verstehen, muss man eine Seele haben, die, so wenig sie auch sein mag, jedenfalls nicht nichts ist.
Was bin ich? Wenn ich ich sage, ich im Sinne von Roberto de La Grive, dann tue ich das, weil ich das Gedächtnis aller meiner vergangenen Momente bin, die Summe all dessen, woran ich mich erinnern kann. Wenn ich ich im Sinne von diesem Etwas sage, das in diesem Augenblick hier ist und nicht der Hauptmast ist und auch nicht diese Koralle hier ist, dann bin ich die Summe all dessen, was ich jetzt fühle. Aber was ist das, was ich jetzt fühle? Es ist die Gesamtheit aller Beziehungen zwischen vermeintlich unteilbaren Teilen, die sich zu jenem System von Beziehungen, zu jener besonderen Ordnung zusammengefügt haben, die mein Körper darstellt.
Und somit ist meine Seele nicht, wie Epikur wollte, eine Materie, die aus besonders feinen Teilchen besteht, oder ein Hauch, der sich mit Wärme vermischt, sondern sie ist die Art und Weise, in der sich diese Beziehungen als solche wahrnehmen.
Was für eine zarte Verdichtung, was für eine verdichtete Ungreifbarkeit! Ich bin nichts als eine Beziehung zwischen meinen Teilen, die einander wahrnehmen, während sie in Relation zueinander stehen. Aber da diese Teile ihrerseits in weitere Relationen teilbar sind (und so weiter), müsste jedes System von Beziehungen, da es ein Bewusstsein seiner selbst hat, ja das Bewusstsein seiner selbst ist , ein denkender Kernsein. Ich denke mich, denke mein Blut, meine Nerven; aber jeder Tropfen meines Blutes denkt sich selbst.
Denkt er sich so, wie ich mich denke? Sicher nicht, in der Natur empfindet der Mensch sich selbst auf sehr komplexe Weise, das Tier etwas weniger (es kann zwar Appetit haben, aber zum Beispiel keine Gewissensbisse), und eine Pflanze fühlt, wie sie wächst, und sicher spürt sie es, wenn sie abgeschnitten wird, und vielleicht sagt sie auch ich , aber in einem sehr viel dunkleren Sinn, als wenn ich ich sage. Jedes Ding denkt, aber gemäß seiner Komplexität.
Wenn dem so ist, denken auch die Steine. Auch dieser hier, der eigentlich keiner ist, sondern einst eine Art Pflanze war (oder ein Tier?). Wie wird er denken? Als Stein. Wenn Gott, der die große Beziehung aller Beziehungen des Universums ist, sich selbst als Denkenden denkt, wie es Der Philosoph will, dann wird dieser Stein sich selbst nur als Steinenden denken. Gott denkt die Gesamtheit des Ganzen, das All mit den unendlich vielen Welten, die er durch sein Denken geschaffen hat und aufrechterhält, ich denke an meine unglückliche Liebe, an meine Einsamkeit auf diesem Schiff, an meine verstorbenen Eltern, an meine Sünden und meinen nahenden Tod, und dieser Stein hier denkt vielleicht nur: ich Stein, ich Stein, ich Stein. Oder vielleicht kann er nicht einmal ich sagen. Er denkt: Stein, Stein, Stein.
Müsste recht langweilig sein. Oder nein, ich bin es, der Langeweile empfindet, weil ich mehr denken kann, während der Stein ganz zufrieden ist mit seinem Steinsein, ja, er ist sogar ebenso glücklich wie Gott – denn Gott erfreut sich am Alles-Sein und dieser Stein am Beinahe-nichts-Sein, aber da er keine andere Seinsweise kennt, ist er mit der seinen glücklich und für alle Zeiten zufrieden ...
Aber stimmt es denn, dass der Stein nichts anderes fühlt als sein Steinsein? Der Kanonikus hat gesagt, auch die Steine sind Körper, die bei bestimmten Gelegenheiten brennen und etwas anderes werden. In der Tat, ein Stein fällt in einen Vulkan, durch die große Hitze jenes flüssigen Feuers, das die Alten Magma nannten, er verschmilzt mit anderen Steinen zu einer einzigen glühenden Masse, kommt herausgeflossen und findet sich nach einer Weile (oder nach einer langen Zeit) als Teil eines größeren Steins wieder. Ist es möglich,dass er, als er aufhörte, dieser bestimmte Stein zu sein, und ein anderer wurde, nicht seine Erhitzung fühlte und mit ihr das Herannahen seines Todes?
Die Sonne brannte aufs Deck, eine leichte Brise milderte ihre Hitze, der Schweiß trocknete auf Robertos
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