Die Insel Des Vorigen Tages
das sei keine Arbeit, schon gar keine niedrige, sondern Ausübung einer der edelsten Künste, und ihre Mühsal werde dem Wachstum der Kenntnis des großen Buchs der Natur zugute kommen. Mithin sei sie wie das Meditieren über den heiligen Texten, von denen sich das Buch der Natur nicht entferne.
Roberto mußte sich also an die Arbeit machen, angespornt von Pater Caspar, der in den heikelsten Momenten selber eingriff, wenn es galt, die Eisenteile an den vorgesehenen Stellen zusammenzufügen.
Den ganzen Vormittag lang arbeiteten sie so, und das Ergebnis war ein Käfig in Form eines Kegelstumpfes, etwas mehr als mannshoch und bestehend aus drei horizontalen, nach unten zu größer werdenden Ringen, die durch vier vertikale, leicht schräg gestellte Stangen parallel zueinander gehalten wurden.
An den beiden oberen Ringen war eine sackähnliche Konstruktion aus Segeltuch und Riemen befestigt, in die sich ein Mensch so einschnallen konnte, daß er nicht nur an der Hüfte, sondern auch an Brust und Hals vor einem Abrutschen gesichert war und mit dem Kopf nicht an den oberen Ring stieß.
Während Roberto sich noch fragte, wozu das Ganze dienen sollte, schnürte Pater Caspar die Tierhaut auf, die sich als ein idealer Bezug oder Handschuh oder Fingerhut für den Eisenkäfig entpuppte, dem sie sich leicht Aberziehen ließ, wonach sie innen festgehakt wurde, so daß sie, als das Ganze fertig war, von außen nicht mehr abgezogen werden konnte. Und tatsächlich war das Ganze ein oben geschlossener und unten offener Kegelstumpf - oder eben, wenn man so wollte, eine Art Glocke. Zwischen dem oberen und dem mittleren Ring öffnete sich ein kleines Fenster, und oben auf dem Glockendach befand sich ein robuster Eisenring.
Als alles fertig war, wurde die Glocke zur Ankerwinde gebracht und mit dem Ring an den Haken eines Auslegers gehängt, der es erlaubte, sie durch ein System von Rollen und Flaschenzügen anzuheben, über Bord zu schwenken, ins Wasser zu senken und wieder hochzuziehen, wie man es beim Be- und Entladen eines Schiffes mit Kisten, Ballen und anderen Lasten macht.
Die Winde war nach der langen Untätigkeit ein bißchen verrostet, aber schließlich gelang es Roberto, sie in Gang zu bringen und die Glocke so weit anzuheben, daß man von unten in sie hineingehen konnte.
Sie wartete nur noch auf einen Passagier, der in sie hineinschlüpfte und sich in ihr festband, um dann wie ein Klöppel in ihr zu hängen.
Es konnte ein Mensch von jeder beliebigen Statur sein, er brauchte nur die Riemen durch Schnallen und Knoten entsprechend zu erweitern oder zu verengen. Einmal gut festgeschnallt, würde er mit seinem Gehäuse spazierengehen können, und die Riemen würden dafür sorgen, daß sein Kopf auf der Höhe des Fensters blieb und der untere Rand bis etwa zu seinen Waden reichte.
Roberto brauche sich jetzt bloß noch vorzustellen, erklärte Pater Caspar triumphierend, was passieren würde, wenn die Glocke mit der Winde ins Meer gesenkt würde.
»Na, der Passagier würde ertrinken«, meinte Roberto, wie es wohl jeder getan hätte. Worauf Pater Caspar ihm vorwarf, er habe sehr wenig Ahnung vom »Äquilibrium der Flüssigkeiten«.
»Du magst vielleicht dencken«, sagte er, »daß es irgendwo ein Vakuum gibt, wie jene Schmuckstücke der Synagoge Satans behaupten, mit denen du in Paris gesprochen hast. Aber du wirst zugeben, daß in der Glocke kein Vakuum ist, sondern Lufft. Und wann du eine Glocke voll Lufft ins Wasser senkest, dringt kein Wasser nit ein. Entweder Wasser oder Lufft.«
Das sei wahr, gab Roberto zu. Eben, und folglich, fuhr der Pater fort, könne der Mensch, so tief das Meer auch sein möge, mit der Glocke auf dem Grunde spazierengehen, ohne daß Wasser in sie eindringe, jedenfalls so lange, bis die ganze in der Glocke enthaltene Luft durch sein Atmen in Wasserdampf umgewandelt sein würde (wie man ihn sehe, wenn man auf einen Spiegel hauche), wobei dann dieser Dampf, da er weniger dicht als das Wasser sei, endlich diesem Platz machen würde - was definitiv beweise, kommentierte der Pater triumphierend, daß die Natur einen Horror vacui habe. Doch in einer Glocke von dieser Größe könne ein Mensch, so habe er ausgerechnet, mindestens dreißig Minuten lang atmen. Die Küste erscheine zwar recht weit entfernt, wenn man sie schwimmend erreichen wolle, doch wenn man über den Meeresgrund zu ihr gehe, sei es bloß ein Spaziergang, denn etwa auf halbem Weg zwischen Schiff und Küste beginne das Korallenriff
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