Die Insel Des Vorigen Tages
des Universums wie ein riesiges Rad dreht, in dessen Innern sich andere Räder drehen, jedes mit noch kleineren Rädern, die sich in ihrem Innern drehen, und dieses ganze große Gebilde bewegt sich am Himmel auf einer riesigen Umlaufbahn, die Jahrtausende dauert, vielleicht kreisend um einen anderen Wirbel von Wirbeln von Wirbeln ... Und hier überkam Roberto ein solches Schwindelgefühl, daß er beinahe untergegangen wäre.
Das aber war der Moment, da Pater Caspar seinen Triumph erzielte. Also gut, sagte er, wenn die Erde sich um die Sonne drehe, aber die Sonne sich ihrerseits um etwas anderes drehe (und lassen wir hier beiseite, ob dieses andere sich wiederumb umb etwas anderes drehet), dann ergebe sich das Problem der roulette - von der Roberto doch sicherlich in Paris gehört habe, da sie von dort nach Italien zu den Anhängern Galileis gelangt sei, die wirklich alles aufgriffen und sich zunutze machten, solange es nur die Welt in Unordnung bringe.
»Was ist die roulette? «fragte Roberto.
»Eine Kurve, du kannst sie auch Trochoide oder Zykloide nennen, das ändert nit viel. Stell dir ein Rad vor.«
»Dasselbe wie vorhin?«
»Nein, dißmal ein Wagenrad. Und stell dir vor, auf diesem Wagenrad sey ein Nagel. Nun stell dir vor, das Rad stehe stille, und der Nagel sey dicht über dem Boden. Nun stell dir vor, der Wagen fahre und das Rad drehe sich. Was, meinst du, geschieht mit dem Nagel?«
»Nun ja, wenn das Rad sich dreht, wird er nach einer Weile oben sein, und wenn das Rad seine Umdrehung beendet hat, ist er wieder dicht überm Boden.«
»So meinstu also, dieser Nagel hat eine Bewegung in Form eines Kreyses gemacht.«
»Na klar. Bestimmt nicht in Form eines Quadrats.«
»Itzo paß einmal auff, du Witzbold. Sagst du, daß der Nagel sich an derselben Stelle überm Boden befindet, wo er zuvor gewesen?«
»Moment ... Nein, wenn der Wagen vorwärtsgefahren ist, befindet sich der Nagel ein Stück weiter vorn am Boden.«
»Also hat er keine kreisförmige Bewegung gemacht.«
»Nein, bei allen Heiligen des Paradieses.»Du sollst nit sagen Beiallenheyligendesparadieses!«
»Verzeihung. Aber was für eine Bewegung hat er denn gemacht?«
»Er hat eine Trochoide vollführt, und damit du begreiffst, was das ist, sage ich dir, das ist, wie wenn du einen Ball vor dich hin wirffst: ein Stück weiter vorn berührt er den Boden, dann springt er ab und macht einen weiteren Bogen, dann noch einen und so weiter - nur mit dem Unterschied, daß während der Ball immer kleinere Bögen macht, die Bögen des Nagels immer gleich gross bleiben, wann das Rad mit gleichbleibender Geschwindigkeit fahrt.«
»Und was heißt das?- fragte Roberto, der seine Niederlage ahnte.
»Das heisset, du wilst so viele Wirbel und zahllose Welten beweisen und daß die Erde sich um die Sonnen drehe, und darbey dreht deine Erde sich gar nicht würcklich, sondern hüpft durch den endlosen Himmel wie ein Ball, tumpf tumpf tumpf - hach, welch schöne Bewegung für diesen hochedlen Planeten!
Und wann deine Theoria der Wirbel gut ist, machen alle Himmelskörper tumpf tumpf tumpf haha, itzo lass mich lachen, das ist würcklich der größte Witz meines Lebens!«
Was sagt man gegen ein so raffiniertes und geometrisch perfekt ausgetüfteltes Argument? Noch dazu, wenn es in so perfekter Scheinheiligkeit wider besseres Wissen vorgetragen wird, denn Pater Caspar hätte ja wissen müssen, daß etwas ganz Ähnliches auch der Fall wäre, wenn die Planeten sich so bewegten, wie Tycho Brahe es wollte. Roberto ging wie ein begossener Pudel zu Bett. In der Nacht überlegte er, ob es nicht am besten wäre, all seine Ideen über eine Bewegung der Erde über Bord zu werfen. Würde denn, überlegte er, wenn Pater Caspar recht hätte und die Erde sich nicht bewegte - und andernfalls würde sie sich über Gebühr bewegen, und niemand könnte sie mehr aufhalten -, würde das denn irgend etwas an seiner Entdeckung des Antipoden-Meridians ändern? Oder an seiner Theorie der Sintflut? Oder gar an der Tatsache, daß die Insel dort drüben lag, einen Tag vor dem Tag, der diesseits des Meridians war? Nicht das geringste.
Mithin, sagte sich Roberto, sollte ich vielleicht aufhören, die astronomischen Ansichten meines neuen Lehrers in Frage zu stellen, und mich lieber anstrengen, endlich schwimmen zu lernen, um eines Tages das zu erreichen, was mich wirklich interessiert, und das ist nicht die Frage, ob nun Kopernikus und Galilei recht hatten oder dieser Tycho von Uranienborg,
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