Die Insel Des Vorigen Tages
würden. Nun hatte Elisäus den Riemen angelegt und war unterwegs auf der Straße. Ein Gesetzeshüter erblickte ihn und verfolgte ihn, als er floh. Als Elisäus eingeholt wurde, nahm er sich den Gebetsriemen ab und verbarg ihn in den Händen. Der Verfolger fragte ihn: »Was hast du da in den Händen?« Und Elisäus antwortete: »Die Flügel einer Taube.« Der andere öffnete ihm die Hände. Und es waren die Flügel einer Taube.
Ich weiß nicht, was diese Geschichte bedeutet, aber ich finde sie sehr schön. Und so hätte sie auch Roberto gefunden.
Amabilis columba,
unde, unde ades volando?
Quid est rei, quod altum
coelum cito secando
tam copia benigna
spires liquentem odorem?
Tam copia benigna
unguenta grata stilles?
Soll heißen, die Taube ist ein wichtiges Zeichen, und wir können verstehen, warum einer, der sich an die Antipoden verirrt hat, genau hinzusehen beschließt, um zu begreifen, was sie für ihn bedeutet.
Unerreichbar die Insel, Lilia verloren, all seine Hoffnungen gegeißelt - warum sollte sich da die unsichtbare Flammenfarbene Taube nicht in die medulla aurea verwandeln, in den Stein der Weisen, das Ziel aller Ziele, flüchtig wie alle Dinge, die man leidenschaftlich begehrt? Etwas erstreben, was man niemals bekommen wird, ist das nicht der Gipfel des generösesten aller Begehren?
Die Sache scheint mir so klar ( luce lucidior ) , daß ich hiermit beschließe, meine Explikation der Taube nicht weiter fortzufahren.
Kehren wir zurück zu unserer Geschichte.
Die Geheimnisse des Meeres-Flusses
Am nächsten Tag beim ersten Licht der Sonne zog Roberto sich vollständig aus. In Anwesenheit von Pater Caspar war er aus Schamhaftigkeit mit Hemd und Hose ins Wasser gestiegen, aber dabei hatte er bemerkt, daß die Kleider ihn schwer machten und behinderten. Jetzt war er nackt. Er band sich das Seil um die Hüfte, stieg die Jakobsleiter hinunter und tauchte erneut ins Meer.
Er trieb an der Oberfläche, das hatte er inzwischen gelernt. Jetzt mußte er lernen, Arme und Beine zu bewegen, wie es die Hunde tun. Er probierte es vorsichtig, strampelte und paddelte einige Minuten und stellte fest, daß er sich nur um wenige Armeslängen von der Leiter entfernt hatte. Außerdem war er bereits erschöpft.
Aber er wußte nun, wie man sich ausruht: Er legte sich auf den Rücken und ließ sich eine Welle vom Wasser und von der Sonne streicheln.
Langsam kam er wieder zu Kräften. Also mußte er so lange paddeln, bis er müde wurde, dann ein paar Minuten lang Toter Mann spielen und dann weiterpaddeln. Er würde nur ganz langsam vom Fleck kommen, und es würde sehr lange dauern, aber so mußte er’s machen.
Nach ein paar Versuchen traf er eine mutige Entscheidung. Die Leiter hing an Steuerbord, also rechts neben dem Bugspriet, auf der Seite der Insel. Jetzt würde er versuchen, zur linken Seite des Schiffs hinüberzuschwimmen. Dann würde er sich ausruhen und schließlich zurückkommen.
Das Unterqueren des Bugspriets war nicht schwer, und der Blick auf die Backbordseite der Daphne war ein Sieg. Roberto legte sich auf den Rücken, streckte Arme und Beine aus und hatte den Eindruck, daß die Wellen ihn auf dieser Seite besser wiegten als auf der anderen.
Plötzlich spürte er einen Ruck an der Hüfte. Das Seil hatte sich straff gespannt. Er drehte sich wieder in Hundepaddelstellung und begriff: Das Meer hatte ihn links der Daphne nach Norden getrieben, viele Armeslängen über die Spitze des Bugspriets hinaus. Mit anderen Worten, die in nordöstlicher Richtung verlaufende Strömung, die etwas weiter im Westen stärker wurde, machte sich auch schon hier in der Bucht bemerkbar. Als er an Steuerbord ins Wasser gegangen war, hatte er sie nicht bemerkt, weil ihn der Schiffsrumpf vor ihr geschätzt hatte, aber als er nach Backbord hinübergewechselt war, hatte sie ihn erfaßt, und wenn ihn das Seil nicht gehalten hätte, wäre er davongetrieben worden. Er hatte geglaubt, daß er ruhig dalag, und in Wirklichkeit hatte er sich bewegt wie die Erde in ihrem kosmischen Wirbel.
Deshalb war es ihm auch so leichtgefallen, den Bug zu umrunden: Seine Geschicklichkeit war nicht größer geworden, das Meer hatte ihm geholfen.
Beunruhigt wollte er sehen, ob er aus eigener Kraft zur Daphne zurückschwimmen konnte, und mußte feststellen, daß, kaum hatte er sich ihr paddelnd um ein paar Handbreiten genähert und hielt einen Augenblick inne, um Atem zu schöpfen, das Seil sich im selben Moment wieder straffte, woran er sah, daß
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