Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
sein Unrecht wiedergutzumachen, der Taube wieder den Hof und umschmeichelt sie, indem er sie mehrfach umkreist. Eine Vorstellung dies - daß rasende Eifersucht die Liebe schürt und daß diese dann zu erneuerter Treue führt, und weiter geht’s mit der endlosen Küsserei zu jeder Jahreszeit -, die mir sehr schön erscheint und die Roberto, wie wir noch sehen werden, geradezu wunderschön fand.
    Wie kann man ein Bild nicht lieben, das einem Treue verspricht? Sogar Treue über den Tod hinaus, denn hat eine Taube einmal ihren Gefährten verloren, tut sie sich nicht mehr mit einem anderen zusammen. Daher ist die Taube zum Symbol der keuschen Witwenschaft erkoren worden auch wenn Giovanni Ferro an die Geschichte jener Witwe erinnert, die sich, obwohl in tiefster Trauer über den Tod ihres Gatten, eine weiße Taube hielt und, als sie darob getadelt wurde, erwiderte: Dolor non color , der Schmerz zählt, nicht die Farbe.
    Mit einem Wort, ob lasziv oder nicht, diese Hingabe an die Liebe läßt Origenes sagen, die Tauben seien das Symbol der Barmherzigkeit. Und deswegen, sagt der heilige Cyprianus, kommt der Heilige Geist zu uns in Gestalt einer Taube, auch weil dieses Tier nicht nur keine Galle hat, sondern auch nicht kratzt oder beißt, es ist ihm natürlich, die Wohnungen der Menschen zu lieben, es kennt nur ein einziges Haus, es nährt seine jungen und verbringt sein Leben im trauten Gespräch, mit seinem Gefährten plaudernd in der Eintracht - hier wirklich eine concordia probatissima - des Kusses. Woran man sieht, daß das Küssen auch ein Zeichen für große Nächstenliebe sein kann, wie ja auch die Kirche den Brauch des Friedenskusses pflegt. Schon die Römer begrüßten einander mit Küssen, auch zwischen Männern und Frauen. Boshafte Kommentatoren behaupten zwar, daß sie es taten, weil die Frauen keinen Wein trinken durften und man, wenn man sie küßte, ihren Atem kontrollieren konnte, aber immerhin galten die Numidier bei den Römern als Rohlinge, weil sie nur ihre eigenen Kinder küßten.
    Da alle Völker die Luft als überaus edel erachteten, verehrten sie die Taube auch deshalb, weil sie höher als andere Vögel fliegt und doch immer treu in ihr Nest zurückkehrt. Das tut zwar auch die Schwalbe, aber niemandem ist es jemals gelungen, die Schwalbe mit unserer Gattung anzufreunden und sie zu zähmen, die Taube dagegen sehr wohl. So berichtet zum Beispiel der heilige Basilius, daß die Taubenfänger eine Taube mit wohlriechendem Balsam besprühten, woraufhin die anderen Tauben, von dieser angezogen, ihr in großen Scharen folgten. Odore trahit , sie lockt mit dem Geruch. Wobei ich zwar nicht weiß, ob das viel mit dem oben Gesagten zu tun hat, aber mich rührt dieses duftende Wohlwollen, diese lockende Gerüche ausströmende Reinheit, diese verführerische Keuschheit.
    Aber die Taube ist nicht nur keusch und treu, sondern auch schlicht ( columbina simplicitas: seid klug wie die Schlangen und schlicht wie die Tauben, sagt die Bibel), und darum ist sie bisweilen auch das Symbol des mönchischen und einsiedlerischen Lebens - und was das mit all den Küssen zu tun hat, fragt mich bitte nicht.
    Ein weiterer Grund ihres Zaubers ist die trepiditas der Taube, ihre Furchtsamkeit. Ihr griechischer Name treron kommt sicher von treo, »ich fliehe zitternd«. Davon ist die Rede sowohl bei Homer wie auch bei Ovid und Vergil (»furchtsam wie Tauben während eines schwarzen Gewitters«), und vergessen wir nicht, daß die Tauben stets in der Angst vor dem Adler leben oder, schlimmer noch, vor den Geiern.
    Bei Valeriano kann man nachlesen, wie sie genau deswegen an unzugänglichen Orten nisten, um sich zu schützen (daher die Devise Secura nidificat: »Sicher genistet«). Woran bereits Jeremias erinnert, während es im 55. Psalm heißt: »Hätte ich Flügel wie die Taube, ich würde fliegend entfliehen.«
    Die Juden sagten, die Tauben seien die am meisten verfolgten Vögel und daher würdig, auf den Altar zu kommen, denn es sei besser, verfolgt zu sein, als zu verfolgen. Für Aretino dagegen, der nicht so sanftmütig wie die Juden war, wird, wer sich zur Taube macht, vom Falken gefressen. Doch Epiphanius sagt, daß die Taube sich nie vor Gefahren schützt, und Augustinus fügt hinzu, daß sie es nicht nur bei großen Tieren nicht tut, gegen die sie ohnehin nichts vermag, sondern nicht einmal bei den Spatzen.
    Einer Legende zufolge gibt es in Indien einen dichtbelaubten grünen Baum, der auf griechisch Paradiston heißt. Auf

Weitere Kostenlose Bücher