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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Tod, flammt triebe ein rötliches Licht, die schrägen Blicke und die verdrehten Pupillen muten an wie Kometen, wie Leuchten die Brauen, zornige, hochfahrende und verzweifelte Donnerschläge sind seine Seufzer, Blitze die Atemzüge.
    Aber da niemand vollkommen ist, auch nicht im Bösen, und da Ferrante nicht imstande war, das Übermaß seiner Ruchlosigkeit zu zügeln, hatte er nicht vermeiden können, einen Fehltritt zu tun. Von seinem Brotherrn beauftragt, die Entführung einer hochwohlgeborenen keuschen Maid zu organisieren, die schon zur Ehe mit einem tugendhaften Edelmann ausersehen war, hatte er begonnen, ihr Liebesbriefe zu schreiben, die er mit dem Namen seines Herrn unterschrieb. Dann war er, während sie zurückwich, in ihren Alkoven eingedrungen und hatte sich, sie zum Opfer einer Vergewaltigung machend, an ihr vergangen. Womit er auf einen Streich sowohl die Braut wie ihren Verlobten wie auch seinen eigenen Arbeitgeber entehrt und betrogen hatte.
    Als das Verbrechen angezeigt wurde, beschuldigte man seinen Arbeitgeber als Täter, der daraufhin in einem Duell mit dem betrogenen Verlobten starb, aber inzwischen war Ferrante schon auf dem Weg nach Frankreich.
    In einem gutgelaunten Moment ließ ihn Roberto in einer Januarnacht durch die Pyrenäen reiten auf einem gestohlenen Maultier, das sich dem Orden der reformierten Betschwestern angeschlossen haben mußte, denn es trug das Fell nach mönchischer Art geschoren und war so fromm, nüchtern, entsagungsvoll und demütig, daß es über die Abtötung des Fleisches hinaus, die man sehr deutlich am Knochengerüst seiner Flanken sah, bei jedem Schritt kniefällig die Erde küßte.
    Die Berghänge schienen bedeckt mit Dickmilch, über und über weiß verputzt. Die wenigen Bäume, die noch nicht ganz unter dem Schnee begraben waren, sahen aus, als hätten sie sich des letzten Hemdes entledigt, und zitterten mehr vor Kälte als wegen des Windes. Die Sonne blieb im Innern ihres Palastes verborgen und traute sich nicht einmal auf den Balkon. Und wenn sie doch einmal kurz ihr Gesicht zeigte, setzte sich gleich ein Kranz von Wölkchen auf ihre Nase.
    Die wenigen anderen Reisenden, denen man auf jenem Weg begegnete, schienen allesamt Mönchlein von Monteoliveto zu sein, die singend ihres Weges zogen, lavabis me et super nivem dealbabor ...
    Und selbst Ferrante fühlte sich, weiß wie er war, in einen mehlbestäubten Adepten der Accademia della Crusca verwandelt.
    Eines Nachts fielen so dicke und dichte Watteflocken vom Himmel, daß Ferrante schon meinte, er sei -
    so wie andere zu einer Salzsäule erstarrt waren - eine Schneesäule geworden. Die Eulen und Fledermäuse, die Heuschrecken und Nachtfalter und Käuzchen umflatterten ihn, als wollten sie ihn zum besten halten. Und schließlich stieß er auch noch mit der Nase an die Füße eines Gehenkten, der an einem Ast baumelnd sich selbst zu einer Groteske auf aschgrauem Felde machte.
    Doch wenn ein Roman sich auch mit schönen Beschreibungen schmecken muß, Ferrante konnte unmöglich eine Komödienfigur sein. Er mußte ein Ziel anstreben, soll heißen, er mußte sich das Paris, dem er sich näherte, nach seinem Maß vorstellen.
    Darum seufzte er sehnlichst: »O Paris, maßlose Bucht, in der die Wale sich klein machen wie Delphine, Land der Sirenen, Marktplatz der großen Gepränge, Garten der Lüste, Labyrinth der Intrigen, Nil der Höflinge, Meer der Verstellungen!«
    Und hier legt Roberto im Bestreben, etwas zu erfinden, was sich noch kein Romanautor ausgedacht hatte, um die Gefühle jenes Unersättlichen wiederzugeben, der sich anschickt, jene Stadt zu erobern, in der sich Europa für die Zivilisation resümiert, Asien für den Überschwang, Afrika für die Extravaganz und Amerika für den Reichtum, in der die Neuheit ihre Sphäre hat, die Täuschung ihre Regie, der Luxus sein Zentrum, der Mut seine Arena, die Schönheit ihr Parkett, die Mode ihre Wiege und die Tugend ihr Grab - hier legt Roberto seinem Ferrante ein schön arrogantes Motto in den Mund: Paris, à nous deux!
    Von der Gascogne bis Poitou und von dort bis zur Ile-de-France hatte Ferrante Gelegenheit, einige dreiste Untaten zu begehen, die ihm erlaubten, ein kleines Vermögen aus den Taschen einiger Einfaltspinsel in die eigenen zu transferieren und die französische Hauptstadt im Gewande eines diskreten und liebenswürdigen jungen Herrn, des Signor del Pozzo, zu erreichen. Da man in Paris noch nichts von seinen Schurkereien in Madrid gehört hatte, nahm er

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