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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sie, wie es schien, durch Müßiggang, Schlafen in Rückenlage und exzessive Zurückhaltung des Samens. Und Roberto war seit zu vielen Tagen zum Müßiggang gezwungen, und was die Zurückhaltung des Samens anging, so vermied er es lieber, ihre Ursachen zu erforschen und auf Abhilfe zu sinnen.
    Er hatte gehört, daß Jagdpartien gut zur Förderung des Vergessens seien, und so beschloß er, seine Schwimmübungen zu intensivieren, aber ohne sich in Rückenlage auszuruhen. Doch unter den Substanzen, welche die Sinne erregen, war das Salz, und Salz bekommt man beim Schwimmen reichlich in den Mund ... Außerdem erinnerte er sich gehört zu haben, daß die Afrikaner, da mehr der Sonne ausgesetzt, lasziver seien als die Nordländer.
    War es vielleicht die Nahrung, die seine saturnischen Neigungen hervorgelockt hatte? Die Ärzte verboten Wildbret, Gänseleber, Pistazien, Trüffel und Ingwer, aber sie sagten nicht, von welchen Fischen abzuraten war. Sie warnten vor allzu weichen Kleiderstoffen wie Zobel und Samt, desgleichen vor Moschus, Ambra, gescheckter Galle und Zypernpulver, aber was wußte er über die unbekannte Macht der hundert Düfte, die aus dem Gewächshaus im Unterdeck aufstiegen, und über die, die der Wind von der Insel zu ihm herübertrug?
    Er hätte viele dieser verderblichen Einflüsse mit Kampfer, Borretsch und Sauerampfer bekämpfen können, auch mit Klistieren, mit Brechmitteln aus in der Brühe aufgelöstem Vitriolsalz, schließlich auch mit Aderlässen am Arm oder an der Stirn. Und dann hätte er nichts anderes essen dürfen als Zichorien, Endivien, Kopfsalat, Melonen, Weintrauben, Kirschen, Pflaumen und Birnen und vor allem frische Minze
    ... Aber nichts von alledem hatte er auf der Daphne.
    Er fing wieder an, sich in den Wellen zu bewegen, wobei er sich bemühte, nicht zuviel Salz zu schlucken und sich so wenig wie möglich auszuruhen.
    Dabei hörte er freilich nicht auf, an die Geschichte zu denken, die er heraufbeschworen hatte, doch seine Wut auf Ferrante übersetzte sich nun in Gewaltausbrüche, bei denen er mit dem Meer kämpfte, als würde er, während er es unter seinen Willen zwang, zugleich seinen Feind unterwerfen.
    Nach einigen Tagen entdeckte er eines Nachmittags zum erstenmal das Bernsteingelb seiner Brusthaare und - wie er mit diversen rhetorischen Verdrehungen schreibt - auch das seiner Schamhaare. Und machte sich klar, daß sie sich deshalb so hell von seinem Körper abhoben, weil dieser so braungebrannt war; aber auch gestärkt, sah er doch Muskeln an seinen Armen hervortreten, die er noch nie zuvor bemerkt hatte. Mit einemmal kam er sich wie ein Herkules vor und wurde unvorsichtig. Am nächsten Tag ging er ohne Seil ins Wasser.

Er würde die Leiter loslassen, auf der Steuerbordseite am Schiff entlangschwimmen bis zum Ruder, dann ums Heck herum, auf der Backbordseite wieder nach vorn und unter dem Bugspriet hindurch zur Leiter.
    Also los!
    Das Meer war nicht sehr ruhig, kleine Wellen warfen ihn ständig gegen die Bordwand, so daß er sich doppelt anstrengen mußte, um erstens am Schiff entlangzuschwimmen und zweitens nicht dabei an den Rumpf zu stoßen. Er keuchte heftig, aber er schwamm tapfer voran. Bis er zum Heck gelangte, wo er die halbe Strecke hinter sich hatte.
    Dort merkte er, daß ihn die Kräfte verließen. Sie reichten sicher nicht mehr, um die ganze Backbordseite bis vorne zu schaffen, aber sie reichten auch nicht, um auf der Steuerbordseite zurückzuschwimmen. Er versuchte, sich am Ruder festzuhalten, aber glitschig, wie es war, bot es ihm nur geringen Halt, und leise begann er unter den rhythmischen Backenstreichen der Wellen zu wimmern.
    Direkt über sich sah er die Galerie, hinter deren Fenstern er den sicheren Hort seiner Kajüte wußte.
    Wenn die Leiter am Bug sich jetzt zufällig lösen würde - sagte er sich -, würde er hier, bevor er starb, Stunden um Stunden damit verbringen können, sich sehnlichst auf jenes Deck zu wünschen, das er so oft hatte verlassen wollen.
    Die Sonne war hinter Wolken verschwunden, und seine Finger wurden schon steif Er legte den Kopf zurück, schloß die Augen und ließ sich treiben. Nach einer Weile schlug er sie wieder auf, drehte sich um und sah, daß genau das passierte, was er befürchtet hatte: Die Wellen trieben ihn weg.
    Er riß sich zusammen und schwamm mit ein paar Stößen zurück zum Schiff, das er berührte, wie um sich Kraft von ihm zu holen. Über sich sah er ein Kanonenrohr aus einem Sabord ragen. Hätte er jetzt sein

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